Die vergessene Frau
der Sorge um Olivia. Gemeinsam leerten sie fast die ganze Flasche Whisky, dann sagte Max, er müsse jetzt zu Franny. Gabriel spürte, dass auch mit ihr etwas nicht stimmte, aber er hatte schon genug Sorgen und wollte sich nicht weiter einmischen. Sein Vater hatte ihn ermahnt, behutsam mit Olivia umzugehen. Schließlich war sie immer noch äußerst labil. Vielleicht hätte der junge Mann das auch beherzigt, wenn er nicht so viel Whisky getrunken hätte. So jedoch fand er sich kurz darauf im Zimmer seiner Schwester wieder.
Olivia saß lesend im Bett. Sie blickte auf, als er ins Zimmer trat. Sobald sie sein Gesicht sah, veränderte sich ihre Miene.
»Du weißt Bescheid«, sagte sie.
Es war eine simple Feststellung. Gabriel machte sich nicht die Mühe, ihr zu antworten. Stattdessen ging er zu ihr und nahm sie in die Arme.
»Es tut mir so leid, dass ich nicht für dich da war«, murmelte er in ihr Haar, und sie ließ den Kopf an seine Schulter sinken.
Nach einer halben Ewigkeit löste er sich behutsam von ihr. Sein Blick tastete ihr Gesicht ab.
»Olivia – du musst es mir sagen. Wer war das? Wer hat dir das angetan?«
Max hatte ihm erzählt, dass Olivia sich weigerte, den Vater zu nennen, und Gabriel hatte eigentlich angenommen, dass sie bei ihm genauso reagieren würde. Doch nach kurzem Zögern murmelte sie. »Das war Duke. Duke Carter.«
Olivia wusste nicht recht, warum sie ausgerechnet Gabriel sagte, wer der Vater ihres Kindes war. Monatelang hatte sie sich geweigert, Duke zu verraten, weil sie genau gewusst hatte, was dann passieren würde. Bis heute konnte sie nicht glauben, wie dumm sie gewesen war. Alles hatte am Abend ihres sechzehnten Geburtstages angefangen. Bevor der Schauspieler heimgefahren war, hatte er ihr seine Telefonnummer gegeben und sie gedrängt, ihn anzurufen, sobald sie wieder in L. A. sei. Während des Schuljahres hatte sie sich ihrer Schwärmerei hingegeben und ständig davon geträumt, was wohl geschehen würde, wenn sie sich wiedersahen.
Während der Herbstferien hatte sich Gabriel mit Freunden in L. A. getroffen und Olivia gefragt, ob sie mitkommen wollte. Danach war es nur noch ein kleiner Schritt gewesen, Duke anzurufen und sich mit ihm zu verabreden. Anfangs war sie nicht sicher, ob er sich überhaupt an sie erinnerte, aber als sie erst mit dem Taxi zu ihm nach Hause gefahren war, schien er sich richtig zu freuen, sie zu sehen. Sie verbrachte die Nacht mit ihm und fuhr früh am nächsten Morgen nach Holmby Hills zurück, bevor irgendwer merken konnte, dass sie nicht dort übernachtet hatte. Danach war sie immer, wenn Gabriel nach L. A. fuhr, mitgekommen und hatte sich noch ein paarmal mit Duke getroffen: an Weihnachten, an ein, zwei Wochenenden danach und zum letzten Mal während der Osterferien.
Als sie begriffen hatte, dass sie schwanger war, hatte sie ihn immer wieder und zunehmend verzweifelt angerufen und bei seiner Sekretärin Nachrichten hinterlassen – sie musste ihm doch persönlich erzählen, was passiert war. Aber er nahm keinen ihrer Anrufe entgegen und rief auch nie zurück. Schließlich hatte die Sekretärin ihr erklärt, sie solle nicht mehr anrufen, sonst würde er die Polizei einschalten.
Olivia hatte nicht mehr ein noch aus gewusst. Wenig später hatten ihre Stiefmutter und ihr Vater von ihrer Schwangerschaft erfahren, und sie hatte beschlossen, dass sie Duke am besten gar nicht erwähnte.
Doch dann war Gabriel heimgekommen, und offenbar hatte ihr Vater mit ihm gesprochen, denn plötzlich hatte auch er zu bohren begonnen, wer ihr das Kind angehängt hätte. In ihrer Verzweiflung und weil sie hoffte, dass er sie verstehen würde, hatte Olivia ihren Bruder eingeweiht. Immerhin hatte er immer Verständnis für sie gezeigt. Aber kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, da veränderte sich seine Miene. Sie sah, wie zornig er wurde, als er Duke verfluchte; sie roch den Alkohol in seinem Atem, der seine Wut beflügelte. Jetzt sah sie ihn zur Tür stürmen.
»Wo willst du hin?«, fragte sie ängstlich.
»Ihn zur Rede stellen.« Er biss die Zähne zusammen.
»Gabriel! Nein!«
»Ich muss!«
Olivia sah ihm an, dass er sich nicht umstimmen lassen würde, und fällte eine Entscheidung. »Dann komme ich mit.«
Gemeinsam liefen sie nach unten. Die Werkstatt hatte genau an diesem Tag Frannys Pontiac zurückgebracht, nachdem die Schäden des Unfalls vor ein paar Wochen repariert worden waren. Der Wagen stand vor Gabriels Mustang und blockierte ihn. Zum Glück hatten die
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