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Die vergessene Frau

Die vergessene Frau

Titel: Die vergessene Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tara Hayland
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Bescheid.«
    Franny, die wie erstarrt vor ihm saß, während er ihr den Krankheitsverlauf schilderte, schätzte sich keineswegs glücklich – immerhin eröffnete er ihr gerade, dass sie an einer Erbkrankheit litt, die ihren Körper und Geist in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren dahinraffen würde, bis sie zuletzt an einer Lungenentzündung oder Herzkrankheit sterben würde. Denn es gab keinerlei Heilung, erklärte ihr Dr. Gillon: nicht einmal eine Behandlungsmöglichkeit, um die Symptome zu lindern.
    Max drückte mit aller Kraft ihre Hand. Er war mit zum Arzt gekommen und hatte geduldig draußen gewartet, doch sobald sie die schlimme Nachricht gehört hatte, hatte sie ihn gebeten, ins Behandlungszimmer zu kommen und ihr beizustehen, auch weil sie wusste, dass sie noch zu sehr unter Schock stand, um wirklich zu begreifen, was der Arzt sagte.
    »Aber wenn es eine Erbkrankheit ist, warum ist sie dann bei keinem anderen Familienmitglied aufgetreten?«, fragte Max. Er sah seine wunderschöne Frau an und konnte einfach nicht begreifen, wie sie so etwas treffen konnte.
    »Aus dem, was Ihre Frau mir über ihren Vater erzählt hat, schließe ich, dass sie möglicherweise von seiner Seite vererbt wurde. Und wie gesagt, die Krankheit ist schwer zu diagnostizieren und wird oft mit anderen Leiden verwechselt. Vielleicht ist er gestorben, bevor sich die Symptome wirklich zeigten.«
    Dr. Gillon schlug vor, dass Franny das Pflegeheim Mayfield besuchen solle; danach würde sie mit der Krankheit möglicherweise besser umgehen können.
    »Dort können Sie sehen, wie Patienten im fortgeschrittenen Stadium mit ihrer Krankheit zurechtkommen. Das könnte eine therapeutische Erfahrung für Sie sein.«
    Franny wusste, dass der Arzt sie dazu bewegen wollte, sich ihrer Krankheit zu stellen. Trotzdem traf sie der Anblick der Kranken unvorbereitet. Gleich bei der ersten Diagnose hatte Dr. Gillon eine detaillierte Prognose abgegeben. Aber selbst die ausführliche Beschreibung, wie der Körper eines Kranken nacheinander all seine Funktionen einstellte, war etwas anderes, als es mit eigenen Augen zu sehen: die zappelnden Körper; die leeren Blicke; der Inkontinenzgestank. Als sie auf der Station stand, dachte sie nur noch: So werde ich auch enden. Was sie auch tat, sie konnte dem unvermeidlichen Verfall nicht entgehen: Sie würde hinfällig werden und nach langer, schwerer Krankheit unter Qualen sterben.
    Max, der darauf bestanden hatte, sie zu begleiten, nahm sie am Arm und sagte: »Gehen wir.«
    Den ganzen Abend musste Franny daran denken, was sie an diesem Tag gesehen hatte. Sie ertrug den Gedanken nicht, eines Tages so zu enden.
    Darum ging sie, sobald Max an jenem Abend zu Bett gegangen war, nach unten, trank eine ganze Flasche Brandy und schlich dann nach draußen zu ihrem Pontiac.
    Als Franny im Krankenhaus aufwachte und feststellte, dass sie noch am Leben war, brach sie in Tränen aus. Die Schwestern nahmen an, dass sie erleichtert war, in Wahrheit war sie enttäuscht. Jetzt würde sie sich eine andere Methode überlegen müssen, sich schnell umzubringen. Denn was auch geschah, sie war fest entschlossen, keinen langsamen, qualvollen Tod zu sterben.
    Max kam sie besuchen. So wütend hatte sie ihn noch nie gesehen.
    »Wie konntest du nur?«, fuhr er sie an und begann im Zimmer auf und ab zu marschieren. »Wie kannst du nur so egoistisch sein?«
    »Egoistisch?« Das würde Franny nicht auf sich sitzen lassen. »Ist es etwa egoistisch, wenn ich in Würde sterben will? Ist es egoistisch, wenn ich mich nicht jahrelang quälen will?«
    Er fuhr herum. »Ich, ich, ich. An etwas anderes denkst du nicht, wie? Immer nur an dich.« Seine Augen glühten. »Es geht hier aber nicht nur um dich. Das hier geht auch mich etwas an.«
    Franny sah ihn an. Sie verstand ihn wirklich nicht. »Wieso denn?«
    »Wieso?«, wiederholte er fassungslos. »Begreifst du denn nicht, dass mich das hier genauso trifft wie dich? Was glaubst du, wie ich mich fühle, seit ich weiß, dass uns nur noch so wenig Zeit zusammen vergönnt ist? Seit ich weiß, dass meine Frau, die Frau, die ich liebe, krank wird, ohne dass ich auch nur das Geringste daran ändern kann? Aber so schrecklich diese Erkenntnis auch ist, sie ist nicht so furchtbar, wie erfahren zu müssen, dass du deinem Leben ein Ende setzen wolltest. Denn so schwer …« – Tränen flossen über seine Wangen – »… so schwer die nächsten zehn Jahre auch werden mögen, ich will sie mit dir verbringen. Du wirst mir

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