Die vergessene Frau
zerstört hatte.
Aber eine Erkenntnis war für Cara weit wichtiger als alles andere: dass Franny Max schon vor Jahren von ihr erzählt hatte.
»Sie hätte mir von Anfang an von Ihnen erzählen sollen«, sagte Max jetzt. »Aber sie hatte Angst, dass ich sie dann zurückweisen könnte. Hätte sie doch begriffen, wie sehr ich sie schon damals liebte.«
»Aber warum hat sie sich nicht früher mit mir in Verbindung gesetzt?«, fragte Cara.
»Sie schrieb Ihrer Großmutter, sobald sie von ihrer Krankheit erfuhr, aber zu diesem Zeitpunkt war Theresa schon zu krank, um den Brief noch von der Post abzuholen. Weil es damals so lange dauerte, Briefe nach Übersee zu schicken, begriff Ihre Mutter nicht schnell genug, dass es in Irland Schwierigkeiten gab. Nachdem sie mir von Ihnen erzählt hatte und wir jemanden losgeschickt hatten, um Sie zu holen …«
»… war Theresa schon gestorben und ich im St. Mary’s«, ergänzte Cara.
»Genau. Erst als Sie in London bei den Connollys auftauchten, fand mein Privatdetektiv Ihre Spur wieder. Da Sie damals ganz glücklich zu sein schienen, beschloss Ihre Mutter, Sie nicht herzuholen. Sie hatte das Gefühl, schon genug Schaden angerichtet zu haben, und wollte Sie nicht noch einmal aus Ihrem Leben reißen.«
»Aber warum haben Sie mir das nicht gleich nach meiner Ankunft erzählt? Schließlich haben Sie mich selbst hierher eingeladen.«
»Das wollte Franny nicht.« Er zuckte hilflos mit den Achseln. »Sie war noch nicht bereit, Ihnen nach all den Jahren gegenüberzutreten. Sie wusste nicht, was Sie empfinden würden.«
Cara fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Das war zu viel auf einmal.
Dann stellte ihr Max die Frage, vor der sie sich gefürchtet hatte: »Sind Sie bereit, zu ihr zu gehen?«
Eigentlich hatte sie keine Wahl. Nach all den Jahren konnte sie nur auf eine Weise die Geister zur Ruhe bringen.
Cara konnte sich nur verschwommen an ihre Mutter erinnern, doch ihr war eine schöne, besondere Frau im Gedächtnis geblieben, so wie sie selbst später eine werden wollte. Als Erwachsene hatte sie sich immer wieder Frannys Filme angesehen und dabei gewünscht, sie hätte nur etwas von ihrem Charisma. Aber die Frau vor ihr war ein ganz anderer Mensch: Sie war rastlos und fahrig; und das leuchtend rote Haar war kurz geschnitten, damit es nicht verfilzte.
Schritt für Schritt näherte sich Cara dem Bett. Franny schaute sie an, und sie schien sie sogar zu erkennen. Cara ging vor ihrer Mutter in die Hocke, sodass sich ihre Gesichter auf einer Höhe befanden.
»Hallo, Mum«, sagte sie. Es kam ihr komisch vor, doch sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte.
Cara sah ihrer Mutter an, dass sie etwas sagen wollte. Ihr Mund bewegte sich und bildete Worte. Cara beugte sich vor, um etwas zu verstehen.
»Verzeih mir«, stammelte Franny. »Verzeih mir.«
Cara starrte ihre gebrochene und reumütige Mutter an. Franny hatte viele Fehler gemacht. Cara dachte an all das Elend, das ihr erspart geblieben wäre, wenn sich ihre Mutter damals anders entschieden hätte – aber dann dachte sie daran, welchen Weg sie seither zurückgelegt hatte und dass sie andernfalls Jake nie kennengelernt hätte. Und außerdem – wem wäre geholfen, wenn sie ihren Groll weiter hegte?
Darum beugte sie sich vor und nahm Frannys Hand. »Es ist schon gut«, sagte sie. »Das tut nichts mehr zur Sache. Jetzt ist alles gut.«
Und sie merkte, dass sie es so meinte.
Später stand Cara an der Tür und sah zu, wie Max ihre Mutter weiterpflegte. Nun schnitt er ihr kleine Bissen zurecht, die er ihr geduldig verabreichte, nicht ohne nach jedem Happen ihren Mund abzuwischen. Seine Fürsorge erinnerte Cara daran, wie sie sich vor so vielen Jahren um ihre Großmutter gekümmert hatte. Dies war eine Art von Liebe, die wirklich etwas bedeutete: bis zum letzten Atemzug für jemanden da zu sein.
Max hatte in Kauf genommen, dass die ganze Welt glaubte, er hätte seine Frau umgebracht. Er hatte lieber seinen Ruf ruiniert, als seine Frau zu verraten. Was ihre Mutter und diesen Mann verband, war eine wahrhafte Liebesgeschichte.
Cara blieb in Kalifornien, um noch etwas Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen. Franny starb schon wenige Tage später an Herzschwäche, einer bei Chorea-Huntington-Patienten oft auftretenden Komplikation. Cara tröstete sich mit dem Gedanken, dass ihre Mutter nur so lange durchgehalten hatte, um sich doch noch mit ihrer Tochter auszusöhnen. Nicht einmal eine Woche später kollabierte Max’ verbliebene
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