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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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scheint ihr Gedächtnis sich zu bessern. Die Behinderung lässt nach. Ein kleiner Trost und gleichzeitig eine große Erleichterung. Vieles, was ihr bislang in ihrer Biografie und in ihrem Verhalten als sonderbar erschienen war, was sie sich selbst auch übel genommen hatte, macht nun Sinn.Deutlich ist ihr geworden: Das prägende Lernprogramm ihrer Kindheit hieß nicht »Leben«, sondern »Überleben«. Solange ihr die Zusammenhänge nicht bewusst waren, wurde sie von diesem Programm bestimmt.
Als der Krieg aus war, kam die Lebensangst
    Bei Kriegsende war Gudrun acht Jahre alt, und daran erinnert sie sich wiederum genau. Eines Morgens teilten ihr die Eltern mit, der Krieg sei aus, und erklärten, was das bedeute: dass man endlich im Nachthemd ins Bett gehen dürfe, dass man nicht mehr in den Bunker gehen müsse, dass man nachts durchschlafen könne und nicht mehr die Wohnung zu verdunkeln brauche – lauter Dinge, die sie sich immer gewünscht hatte. »Aber dann wurde mir klar, dass mir wahrscheinlich etwas Furchtbares blühte, denn ich hatte vor allem gelernt, wie man überlebt. Ich konnte mit dem Krieg umgehen. Es war furchtbar, aber ich konnte es. Aber die Vorstellung, dass ich jetzt in ein Nichts lief, in eine Situation, für die ich nicht ausgerüstet war, machte mir schreckliche Angst!«
    Das sind keine Gedanken von Achtjährigen. Aber es geht hier auch nicht um die Lebenserfahrungen von Achtjährigen, sondern von erwachsenen Kindern : »Und so wie ich vorher so viel Todesangst gehabt hatte, so überfiel mich in diesem Moment, als alles endlich gut werden sollte, eine schreckliche Lebensangst.«
    Heute, da sie so vieles in ihrer Biografie neu überdenkt, erscheint ihr auch die Tatsache, dass sie häufig in Unfälle verwickelt war, in einem anderen Licht. Sonderbarerweise fühlte sie sich danach, selbst dann, wenn sie im Krankenhaus lag, nicht resigniert oder ängstlich, sondern, wie sie selbst sagt, »psychisch ungemein stabil und zuversichtlich«. Alle bewunderten dann ihre angebliche Tapferkeit. Aber damit hatte ihr Zustand nicht das Geringste zu tun. Sie musste sich keineswegs zusammennehmen, weil sie sich trotz ihrer Beschwerden voller Energie fühlte. Auchwurde sie stets viel schneller gesund, als man es ihr im Krankenhaus in Aussicht gestellt hatte.
    Es ist noch nicht lange her, dass sie einem ihr bis dahin unbekannten Arzt beiläufig von ihrer Unfallserie erzählte. Der fragte nach: »Sind Sie vielleicht auf Katastrophen geprägt? Haben Sie ursprünglich eher gelernt, mit Katastrophen umzugehen als mit genüsslichem Leben? Brauchen Sie vielleicht von Zeit zu Zeit eine Katastrophe, um alle Ihre Fähigkeiten zu entfalten?«
    Gudruns Antwort: »Ich glaube, ja.«
    Sie hatte einen Beruf gewählt, der ihr viel Disziplin abverlangte, und damit war sie gut zurechtgekommen. Es lag ihr ohnehin nicht, aus der Reihe zu tanzen. Aus ihr wurde nie eine leidenschaftliche Tänzerin, dafür war ihr Kontrollbedürfnis zu ausgeprägt. Aber sie brachte es zu einer guten Tanzpädagogin.
    Disziplin war ein Teil ihrer Überlebensstrategie. Nur mit einem klar strukturierten Alltag, mit festen Regeln und Gewohnheiten gelang es ihr, das schlechte Gedächtnis zu kompensieren. Aber überall dort im Leben, wo etwas anderes gefragt war – verspielt sein, genießen, vertrauen –, da kam sie zu kurz. Seit dreißig Jahren lebt sie allein, ohne Partner. Auch dies sei kein Grund zu klagen, sagt sie. Zu ihren beiden Söhnen habe sie einen ausgesprochen guten Kontakt, nur seien sie leider etwas »bindungsscheu«, weshalb von Enkeln noch keine Rede sein könne.
    »Meine Söhne sind zu mir lieb und freundlich, sehr hilfsbereit, und ich werde in letzter Zeit viel gelobt«, beschreibt sie das Verhältnis. »Nur von meinem ganz persönlichen Erleben des Krieges wollen sie nichts hören, von Erlittenem, was bis in mein gegenwärtiges Leben – und damit auch in ihres – hineinreicht. Da schließt mein Ältester die Augen, als würde er gleich einschlafen.« Die Mutter nimmt ihnen das nicht übel. »Meine Söhne wollen eben etwas anderes von mir.« Sie kann ihnen keine größere Freude machen, als – angefangen beim Handy – neue elektronische Geräte in Gebrauch zu nehmen. »Sie würden mich am liebsten von morgens bis abends anleiten.«
    Lernen, sich neues Wissen aneignen macht ihr Freude, genaugenommen zählt es zu ihren Lieblingsaktivitäten. Sie vertraut auf die Erkenntnisse der Hirnforschung, wonach das menschliche Gehirn bis ins hohe

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