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Die vergessenen Kinder: Herzensgeschichten (German Edition)

Die vergessenen Kinder: Herzensgeschichten (German Edition)

Titel: Die vergessenen Kinder: Herzensgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Bittner
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frisch und mit der Butter, von der Sven so viel nehmen durfte, wie er wollte, war es einfach köstlich. Dazu gab es Honig, der wie Bienenwachskerzen roch und süß und kräftig schmeckte. Ein Schälchen mit winzigen Erdbeeren rundete das Essen ab. Sven erfuhr, dass es Walderdbeeren waren, und gab ein paar davon der Elster ab. Aber nicht viele. Der Vogel hatte sich in der Zwischenzeit an Mephistos Katzenfutter gelabt, der sich noch nicht wieder hatte blickenlassen. Die Elster hatte mitten auf dem Tisch fressen dürfen und ließ sich zutraulich von Sven kraulen. Mit schief gelegtem Kopf bettelte sie nach Erdbeeren oder einem Stückchen Brot.
    Während erstaunliche Mengen Nahrung in Sven verschwanden, schüttete er Moni sein Herz aus. Schonungslos erzählte er ihr alles. Von dem Streit, dass er einfach weggelaufen war und von seinen Befürchtungen und Ängsten. Die Frau hörte ernst und schweigsam zu. Als Sven fertig war, vollgegessen und leergeredet auf dem Sofa saß, fasste sie einen Entschluss.
    „Ich mache dir einen Tee. Der wird dir helfen.“ Sven wunderte sich, weil Moni so traurig dabei aussah, aber er vertraute der älteren Frau. Dann lächelte Moni strahlend. „Aber vorher lassen wir deinen kleinen Freund frei. Er ist wieder ganz gesund.“
    Sven trug den Vogel behutsam hinaus und setzte ihn vor der Hütte auf den Boden. Die Elster schüttelte und streckte sich, flatterte, stieß ein lautes Elsterngeschnatter aus und flog davon.
    Der Tee schmeckte komisch und bitter, obwohl Moni reichlich Honig eingerührt hatte. Sven hielt sich die Nase zu und trank. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Wirkung einsetzte. Sven wurde müde und gähnte. Seine Augenlider fühlten sich an, als wären sie aus Blei und er konnte sie nicht länger offen halten. Seine Atmung wurde langsamer und flacher. Betäubt schlief er ein.
    Moni seufzte und strich dem Jungen liebevoll über den Kopf. Dann wickelte sie ihn in eine Decke und nahm ihn auf den Arm. Er war nicht schwer, aber Moni hatte einen langen Weg vor sich.

    ~*~

    Sven hatte das nicht wissen oder ahnen können: Moni war eine echte Hexe. Sie kannte sich mit Kräutern aus, dem Lauf der Gestirne und der Heilwirkung von Edelsteinen. Sie konnte aus der Hand lesen und in die Zukunft blicken und hatte auch sonst noch eine Menge Hexentricks auf Lager. Sie war keine böse Hexe, wenn auch ihre Vorstellung von „gut“ ein wenig anders war, als allgemein üblich. Manchmal kamen Leute in ihre Abgeschiedenheit und baten sie um Hilfe. Vielleicht um einen Liebeszauber oder Fruchtbarkeitstrank oder ein Heilmittel zu erbitten. Von Moni bekamen sie selten, was sie haben wollten, sondern das, was sie brauchten.
    Und dann war da noch das mit den Kindern. Verlorene und vergessene, Ausreißer – viele von ihnen fanden ihren Weg zu Monis einsamer Hütte. Die Hexe gab ihnen zu essen und manchmal für ein paar Tage einen Unterschlupf. Und sie hörte ihre Geschichten an. Manche davon grausig und fürchterlich traurig.
    Ein paar der Kinder ließ Moni einfach weiterziehen. Sie würden ihren Weg alleine gehen können. Einigen redete sie ins Gewissen und manche Kinder begleitete sie heim und redete den ELTERN ins Gewissen. Aber dann gab es da noch Kinder wie Sven. Nicht viele, aber selbst die wenigen waren noch zu viel. Zarte Seelchen, sensible junge Menschen, die nicht aufbegehrten, sondern alles in sich hinein fraßen und für immer traurig sein würden. Mit denen machte Moni etwas ganz Besonderes.

    ~*~

    Stunden war die Hexe gelaufen, den Jungen zärtlich an sich gedrückt. Nun war sie am Ziel und wartete auf einen günstigen Augenblick. Im Schatten einer alten Eiche beobachtete sie aufmerksam ihre Umgebung. Als es ihr passend erschien, huschte Moni geduckt los, überquerte einen Parkplatz, ein Stück Gehweg und betrat die Eingangshalle des Krankenhauses. Niemand befand sich hier. Moni legte den Jungen quer über ein paar Stühle, küsste zum Abschied seine Wange und segnete ihn. Schnell verließ sie das Gebäude. Die Dame am Empfang würde bald wiederkommen und Sven finden. Seine Genesung lag nicht mehr in Monis Hand. Ab jetzt konnte sie nur noch auf die Eltern des Jungen hoffen.

    ~*~

    Frau Peisel hatte ihre Rezeption nur kurz verlassen, um im Büro ein paar Kopien von einigen Unterlagen zu machen. Sie hatte noch den Nachtdienst vor sich und balancierte eine bis oben gefüllte Kaffeetasse in ihrer Hand. Den kleinen Jungen sah sie sofort, als sie das Foyer betrat. Achtlos stellte sie die

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