Die vergessenen Kinder: Herzensgeschichten (German Edition)
fallen zu lassen.
Manchmal trafen sie auf andere Kinder, einige jünger, andere älter als sie, und spielten mit ihnen. Aber Mike war Svens Freund und sie blieben zusammen. Und Sven vergaß. Er dachte nicht an sein altes Leben oder seine Eltern zurück. Krax hatte Recht. Hier war es viel besser und es war ihm egal, wo er sich befand.
Ein paar Sachen waren schon seltsam. So hatte Sven auf der Wiese ein Baby entdeckt. Er und Mike hatten es sich angeschaut. Über ihm hing ein Mobile mit bunten Schmetterlingen mitten in der Luft. Der Säugling griff danach und gluckste zufrieden. Eine Katze, größer als eine echte, lag an ihn gekuschelt und beäugte die Jungs wachsam. Mit leiser Stimme sprach das Tier in Menschensprache zu dem Baby. Trotzdem verzog das kleine Wesen bald seinen Mund und fing an zu weinen. Sofort kam eine dieser kleinen Kühe angelaufen. Die Katze machte ihr Platz und die Kuh stellte sich sorgfältig so auf, dass das Baby aus dem Euter trinken konnte. Sven und Mike fanden das unglaublich und beeindruckend, ließen den Säugling aber bald wieder alleine, weil die Katzenmutter unruhig wurde und sie anfauchte.
Ein anderes Mal fand Sven eine Frau, die bestimmt schon über zwanzig war. Glückselig saß sie mitten im Gras und spielte mit Barbiepuppen. Sie verhielt sich nicht wie eine junge Erwachsene. Mike erklärte ihm, dass die Frau schon sehr lange hier war. Als sie angekommen war, hatte sie das Alter von elf Jahren gehabt. Ihr Körper war gewachsen, aber das wusste das Mädchen nicht. Hier wollte und konnte sie Kind bleiben. Mike erzählte Sven auch, dass ein paar Kinder nicht lange blieben, sondern irgendwann einfach nicht mehr da waren. Vermutlich waren sie in ihr altes Leben zurückgekehrt. Er, Mike, wollte nie wieder hier weg. Mehr wollte er dazu nicht sagen.
Eines Tages, Krax begleitete die Jungs gerade und flog schnatternd vor ihnen her, wurden sie Zeuge einer seltsamen Begebenheit. Auf dem Weg zum Piratenschiff kamen sie an einem vielleicht fünfjährigen Jungen vorbei, der mit seinen Förmchen am Strand saß und eine Sandburg baute. Plötzlich hörte er damit auf und starrte mit offenem Mund auf einen Punkt vor ihm. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, er stand auf und ging auf diesen Punkt zu. Sven und Mike guckten sich fast die Augen aus dem Kopf, aber sie konnten beim besten Willen nicht erkennen, was das Entzücken des Kindes ausgelöst hatte.
Es schien so, als würde der Knirps von jemandem umarmt und als ob er sich fest an denjenigen drücken würde. Dann nahm ihn irgendwer an eine unsichtbare Hand. Selig strahlend machte das Kind ein paar Schritte. Dabei wurde er stetig durchscheinender und gläserner und löste sich in Luft auf. Mike und Sven guckten sich erstaunt an. Was war das denn gewesen? Krax hätte ihnen Auskunft geben können, aber er druckste nur herum und wollte nichts sagen. Und bald vergaßen die Beiden den Vorfall wieder.
~*~
Svens Eltern saßen verbittert und traurig an seinem Krankenbett, jeder für sich an einer Seite, und lauschten den Geräuschen der Apparate, an denen ihr Kind angeschlossen war.
Drei Wochen, ganze drei Wochen, hatte es gedauert, bis ihnen endlich aufgefallen war, dass ihr Sohn fehlte und sie ihn schließlich bei der Polizei als vermisst gemeldet hatten. Dort und im Krankenhaus wurden sie schon dringend gesucht. Dr. Franke hatte keinerlei Verständnis für ihre Entschuldigungen gehabt und hatte Svens Eltern grob und unhöflich behandelt und seinem Unmut wortreich Luft gemacht.
Ja, sie hatten Svens Verschwinden nicht bemerkt, weil sein Vater am nächsten Tag, einem Samstag, abgereist war. Er wollte seinen Sohn nicht so früh wecken und hatte nicht nach ihm geschaut. Er war einfach in den Urlaub abgedampft, ohne mitzuteilen, wo er hingefahren war. Svens Mutter hatte geglaubt, er hätte ihren Sohn mitgenommen. Sie war beleidigt und verbrachte kurz entschlossen die nächsten Wochen bei ihrer besten Freundin. Da große Schulferien waren, fiel Svens Abwesenheit auch dort nicht auf. Drei Wochen später trafen die Eltern wieder zusammen und stellten fassungslos fest, dass ihr Kind weg war.
Vier Wochen war es her, dass sie, völlig aufgelöst und verzweifelt, in Dr. Frankes Büro aufgetaucht waren und erfahren hatten, dass ihr Kind aus nicht geklärten Gründen im Koma lag. Seitdem hatten sie entweder zusammen oder einzeln an Svens Bett gesessen. Stumm und regungslos waren sie, fanden keinen Weg zu ihrem Kind oder dem Partner,
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