Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Geschäftsmann. Er ist als Immobilien- oder Finanzberater tätig, vielleicht macht er auch beides. Kimski hat ihn nie so genau danach gefragt.
»Georg sieht ganz schön adrett aus«, stellt Kimski fest. Er versucht, sich seinen Onkel bei einem Verkaufsgespräch vorzustellen. Onkel Georg, wie er in einer schwarzen BMW-Limousine vorfährt, seinen Charme spielen lässt – nein wirklich, sobald Georg hier raus ist, ist er mit Sicherheit eine richtige Plaudertasche. Kimski muss unwillkürlich lächeln. Dann schaut er wieder den alternden Revolutionär vor sich an. Drei Jahre sind seit dessen Schlaganfall vergangen und sein Vater kann immer noch nicht akzeptieren, dass er halbseitig gelähmt ist. Die Kosten für die Pflege haben seine mageren Kapitalreserven längst aufgefressen. Nun zwingt das Sozialamt Kimski als nächsten Verwandten, sich monatlich an den Zahlungen zu beteiligen.
»Ich war nicht glücklich, als du damals zur Polizei gegangen bist … Aber jetzt, als Privatdetektiv und Personenschützer … Du hast noch ganz andere Fähigkeiten ... ein Freund, der mit mir im Revolutionären Rat war, hat inzwischen einen anarchistisch organisierten Verein in Weinheim gegründet ... da könntest du ...«
»Danke, aber ...«
»Ich hab meinen Freund schon gefragt ... du könntest umgehend dort anfangen.«
Kimski schüttelt den Kopf.
»Georg ... sag doch auch mal was ... du bist doch Profi für Arbeit.«
Aber Georg schweigt weiter.
»Ich schaff das schon«, sagt Kimski mürrisch.
»Daran zweifle ich doch gar nicht. Ich habe immer an dich geglaubt … Weißt du noch, wie du Ende der Siebziger … jedes Jahr im Sommerlager in der DDR warst ... Du warst bei allen Schulungen der Beste ... 1981 durftest du sogar die Abschiedsrede am Ferienende halten ... Georg, wusstest du das?«
»Das ist an mir vorbeigegangen, Adolf.«
»Ilja!«, ruft der Revolutionär und dreht den Kopf mühsam in Richtung
seines Bruders.
»Papa!«, unterbricht Kimski. »Es mag dich verwundern, aber die Ferienlagerzeit habe ich verdrängt.«
Er steht auf.
»Das solltest du aber nicht ... deine Mutter und ich waren immer sehr stolz auf dich.«
»Ja, klar«, sagt Kimski trocken.
Seine Mutter brannte nach Indien durch, als er zehn war, und hat ihn und seinen Vater sitzen lassen. Seither hat er kein Lebenszeichen von ihr gehört.
»Sag mal, Sohn ... was ist eigentlich aus dieser Journalistin geworden ... mit der du mich letztes Jahr besucht hast?«
»Eva? Wie kommst du denn jetzt auf die?«
»Nur so … musste ein paar mal an sie denken ... Ein nettes Mädchen … Sizilianerin, nicht wahr? Ich hatte gedacht, ihr beiden wärt ein Paar. Hast du es wieder mal verkackt, Junge?«
Diesmal ist Kimski nicht einmal bereit, auch nur ansatzweise eine Antwort zu geben.
»Dass du es auch nie hinbekommst mit den Frauen ... Ich hatte das schon befürchtet ... Eigentlich war das Mädchen zu gut für dich, aber gefreut hätte es mich doch.«
»Ich hab Schluss gemacht«, presst Kimski genervt in der Hoffnung hervor, sein Vater würde merken, dass er keine Lust hat, über dieses Thema zu sprechen. Er hat Schluss gemacht und damit basta. Wobei – eigentlich war das, was zwischen Eva und ihm letztes Jahr gelaufen war, eher ein kurzes Techtelmechtel. Ein Intermezzo von wenigen Wochen und das Wort Beziehung war nie gefallen. Wo es keine offizielle Bindung gibt, kann man sich doch auch nicht offiziell trennen.
»Hör dir das an, Georg! Er hat Schluss gemacht!«
»Komisch«, denkt Kimski, sein Vater kann nicht verständlich sprechen, aber sobald er anfängt zu schreien, kann er sich plötzlich ziemlich gut mitteilen.
»Ich verstehe das nicht, Junge! Mit dir stimmt doch was nicht. So eine Frau einfach sitzen zu lassen. Ich glaube, du solltest mal zum Psychiater. Du bist überhaupt nicht beziehungsfähig!«
Das muss sein Vater gerade sagen.
»Na, vielen Dank«, murmelt Kimski.
»Ja, ja ... für so was bist du natürlich zu stolz ... Aber eine Therapie … so was kann Wunder wirken.«
»Ich glaube, ich geh dann mal.«
»Was, jetzt schon? … Wir haben dir noch gar nicht die Neuigkeiten erzählt ... nicht wahr, Georg?«
Kimski sieht zu Georg. Dieser zeigt nicht die geringste Regung, so als hätte er nicht bemerkt, dass er angesprochen wurde. Bedächtig starrt die Mumie vor sich hin.
»Neuigkeiten?«
»Georg hat mir etwas erzählt ... bevor du gekommen bist ... Jetzt hör dir das an ... Georg hat unseren Stammbaum recherchiert ... Ist doch so, Georg?«
Keine
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