Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Bringen Sie uns bitte zwei Tassen Espresso in die Bibliothek.«
Maria spricht fließend Deutsch mit einem leichten Akzent.
»Sie sind Spanierin?«, fragt Kimski, nachdem sie aufgelegt hat.
»Ja, aber mein Mann ist Deutscher. Kommen Sie.«
Sie läuft zu einem der großen Fenster und blickt hinaus. Kimski folgt ihr. Hinter dem Haus befindet sich eine quadratische Terrasse. Der Boden besteht aus großen Marmorplatten. Hinten ist eine Treppe, die hinunter zum Garten führt, der terrassenförmig den Berg hinab angelegt ist. Auf der untersten Ebene befindet sich ein Springbrunnen.
»Gehört das alles Ihnen?«
»Meinem Mann, ja. Das Grundstück ist seit Generationen im Besitz seiner Familie.«
Kimski nickt anerkennend.
»Sehen Sie die beiden Herren dort unten?«
Kimski richtet seinen Blick auf die zwei Männer, die sich auf der obersten Terrasse befinden. Den einen hat er bereits kennengelernt, es ist der Mann in Weiß, Sebastian. Der andere sitzt im Rollstuhl und wedelt mit einem Degen in der Luft herum. Ab und zu sticht er die Klinge in den Postsack, der vor ihm an einer Holzstange befestigt ist.
»Das ist Adelbert, mein Mann«, sagt Maria. »Er ist schwer krank, wahrscheinlich hat er nicht mehr lange zu leben. Er leidet unter ALS. Amyotrophe Lateralsklerose. Das sagt Ihnen wahrscheinlich nichts, oder?«
»Nein.«
»ALS ist eine seltene Nervenkrankheit. Die Wissenschaft kennt bis heute nicht die Ursache. Heilungsmöglichkeiten gibt es keine. Bei meinem Mann begann es vor drei Jahren, bis zu diesem Zeitpunkt erfreute er sich, gemessen an seinem Alter, bester Gesundheit. Er hat sein ganzes Leben auf seinen Körper geachtet, war sportlich. Dann begannen eines Tages, seine Hände zu zittern. Ein Arzt stellte fest, dass die Nervenzellen in seinem Gehirn und Rückenmark, die für die Motorik zuständig sind, bereits angefangen hatten abzusterben. Das Schlimmste für ihn ist wahrscheinlich, dass er seinen körperlichen Verfall bei vollem Bewusstsein miterlebt und nichts dagegen unternehmen kann. Mittlerweile ist die Krankheit so weit fortgeschritten, dass die Ärzte ihm nicht mehr viel Zeit geben. Ich, ich ...«
Tränen rinnen über ihre Wangen.
»Wie töricht, jetzt muss ich schon wieder weinen. Entschuldigen Sie bitte, dass ich mich so aufführe.«
»Hier«, Kimski reicht ihr ein Taschentuch.
Sie trocknet ihre Augen. Dann schnäuzt sie sich und starrt regungslos in den Garten.
»Dieses Herumgefuchtel mit dem Degen ist die letzte Freude, die ihm geblieben ist. Sie erinnert ihn daran, dass er noch nicht ganz tot ist. Früher war er ein begnadeter Fechter.«
Noch einmal tupft sie sich das linke Auge. Kimski schaut weg. Die Tür geht auf und ein junges Mädchen mit einem Tablett tritt ein.
»Setzen wir uns«, sagt Maria.
Sie bemüht sich zu lächeln und mit fester Stimme zu sprechen und begibt sich zurück zur Couch. Das Mädchen stellt das Tablett ab und zieht sich umgehend zurück. Kimski setzt sich auf einen Sessel und nimmt einen kleinen Notizblock und einen Stift aus der Innentasche seines Jacketts.
»Der Mann in Weiß, ist das Ihr Sohn?«
»Nein. Wir haben einen Sohn, aber der lebt in Frankfurt. Sebastian ist der Pfleger meines Mannes. Adelbert muss rund um die Uhr betreut werden.«
»Ich verstehe.«
»Mein Mann feiert in zwei Wochen seinen neunzigsten Geburtstag. Ich habe lange überlegt, was ich ihm schenken könnte. Womit kann man einen Menschen, der bereits alles besitzt und der nicht mehr lange leben wird, erfreuen? Vielleicht ist es das letzte Mal, dass ich etwas für ihn tun kann.«
Sie schweigt einen Moment.
»Vor ein paar Tagen ist mir aber etwas eingefallen, dazu brauche ich allerdings professionelle Hilfe von jemandem wie Ihnen.«
»Sie wollen, dass ich Ihnen bei der Beschaffung eines Geburtstagsgeschenks helfe?«
»Ja und nein. Die Angelegenheit ist umfassender. Ich muss etwas ausholen, um Ihnen die Zusammenhänge zu erklären. Während des Zweiten Weltkriegs war mein Mann Teil einer Widerstandsgruppe in Mannheim.«
Kimski setzt den Stift ab und blickt zu ihr auf. Zweiter Weltkrieg? Na, das fängt ja gut an.
»Ich weiß, dass seine Überzeugungen noch immer dieselben und ihm wichtig sind und dass die Jahre des Widerstands die prägendste und aufregendste Zeit seines Lebens waren. Leider haben sich die Mitglieder seit Kriegsende aus den Augen verloren. Ich möchte ihm zum Geburtstag ein Treffen mit seinen ehemaligen Weggefährten schenken.«
Widerstandskämpfer? Kimski kramt in
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