Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
seinem Kopf, was ihm zu diesem Thema einfällt. Und das ist erst mal nicht viel.
»Hört sich interessant an. Wo komme ich ins Spiel?«
»Sie sollen die ehemaligen Gruppenmitglieder für mich ausfindig machen.«
»Um wie viele Personen handelt es sich?«
»Vier Männer und zwei Frauen.«
»Wie lauten ihre Namen?«
»Ich weiß sie nicht. Die Mitglieder haben sich selbst nur unter ihrem Decknamen gekannt. Aus Sicherheitsgründen war ihnen die wahre Identität der anderen nicht bekannt.«
»Aber wie konnten sie dann eine Gruppe bilden?«
»Es handelte sich um junge Leute, die sich zuerst als loser Haufen auf den Mannheimer Neckarwiesen bei sonntäglichen Spaziergängen getroffen hatten und lange Unterhaltungen führten. Anscheinend ging die Initiative von einem Paar aus, das gezielt nach Gleichgesinnten suchte. Sie sprachen die anderen einfach unverbindlich an. Wenn sie heraushörten, dass diese gegenüber der Naziherrschaft eine ähnliche Einstellung hatten, vertieften sie langsam den Kontakt. Im Frühjahr 1945 trafen sie auf meinen Mann, der eine Radtour von Heidelberg nach Mannheim entlang des Neckars unternommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt planten sie bereits ihre erste große Aktion. Sie wollten den KZ-Außenposten des Sandhofer Fliegerhorsts in Mannheim – dort, wo heute der Flugplatz der Amerikaner ist – überfallen und die Häftlinge befreien. Wussten Sie, dass es zwei KZ-Außenstellen in Mannheim gab?«
»Zwei? Ich habe mal von einem KZ gehört.«
»Nein, es waren keine richtigen KZs, sondern lediglich Außenstellen, die größeren KZs untergeordnet waren. Als die Alliierten von Frankreich aus immer weiter nach Osten vorrückten, begann man die Häftlinge der Lager, die in Grenzgebieten lagen, weiter ins Landesinnere zu verlegen. Fast täglich entstanden so neue KZ-Außenposten, einer davon Ende 1944 in ein paar Baracken am Mannheimer Flugfeld. Der zweite befand sich in der Grundschule in Sandhofen.«
Kimski nickt.
»In der Grundschule hatte man tausend Gefangene untergebracht, auf dem Fliegerhorst hingegen waren es nur wenige Häftlinge, nicht mehr als achtzig, größtenteils Geistliche und Widerstandskämpfer aus Luxemburg. Die Lagerleitung hatte ein SS-Unterscharführer aus Heidelberg übernommen. Allerdings hatte man ihm zur Bewachung nur die Handvoll Wehrmachtssoldaten zur Verfügung gestellt, die ohnehin schon auf dem Flugplatz arbeiteten. Deswegen glaubten die jungen Leute um meinen Mann auch, dass es möglich wäre, das Lager in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu stürmen. Aber leider war der Plan von vornherein zum Scheitern verurteilt.«
»Was ist passiert?«
»Die Gestapo war ihnen bereits auf den Fersen. Lediglich der Einmarsch der Amerikaner verhinderte, dass man sie verhaftete und hinrichtete. Jugendlicher Leichtsinn, verstehen Sie?«
»Wahrscheinlich ging es ihnen einfach darum, ein Zeichen zu setzen«, erwidert Kimski.
»Ja, wahrscheinlich.« Maria lehnt sich zurück.
»Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass irgendein Angehöriger der Gruppe noch lebt?«
»Mein Mann war der Älteste. Die anderen waren alle einige Jahre jünger.«
»Was wissen Sie sonst noch?«
»Nicht viel, den Namen der Gruppe ausgenommen. Sie nannten sich Die Letzten .«
»Die Letzten? Warum?«
»Wahrscheinlich weil sie sich als letztes Aufgebot verstanden. Aber genau weiß ich es nicht.«
»In Ordnung.«
Kimski blättert die Seite seines Notizblocks um und sieht zu Maria auf.
»Vielleicht könnte ich mich mit Ihrem Mann unterhalten? Ich könnte es so drehen, dass er nichts merkt ...«
»Nein, das geht nicht. Es würde ihn zu sehr aufwühlen, denn neue Bekanntschaften zu schließen ist im Allgemeinen zu anstrengend für ihn. Und über den Krieg zu sprechen, nun ja ...«
»Gibt es denn sonst keine weiteren Anhaltspunkte, die Sie mir geben könnten?«
»Ich habe Ihnen schon alles gesagt, was ich weiß. Leider.«
Sie erhebt sich. Mit dem Rücken zu Kimski gewandt und mit verschränkten Armen läuft sie vor einem der Bücherregale auf und ab.
»Mein Mann war immer sehr verschlossen, was dieses Thema betrifft. Sie müssen wissen, dass die Nachkriegszeit in Deutschland für Widerstandskämpfer keine leichte Zeit war. Vielleicht hatte man es bei den Entnazifizierungskomitees leichter, aber was denken Sie, was die Nachbarschaft über jemanden dachte, der nicht an den Endsieg geglaubt hatte?« Langsam dreht sie sich wieder ihm zu. »Es tut mir leid, dass ich nicht mehr Informationen für Sie habe. Dem
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