Die vergessenen Welten 01 - Der gesprungene Kristall
den geringsten Hinweis auf den Standort der uralten Zwergenheimat liefern, und Bruenor selbst erinnerte sich auch nur bruchstückhaft an die silbernen Hallen. Dennoch reagierte der Dunkelelf auf den sehnlichsten Wunsch seines Freundes sehr taktvoll und antwortete auf Bruenors Bitte stets mit dem Versprechen: »Eines Tages.«
»Zur Zeit stehen wir vor dringlicheren Aufgaben«, erinnerte Drizzt Bruenor. Vor wenigen Stunden hatte der Dunkelelf auf einer Versammlung in der Zwergenhalle den Zwergen seine Beobachtungen ausführlich geschildert.
»Bist du dir wirklich sicher, daß sie kommen werden?« fragte Bruenor jetzt.
»Ihr Angriff wird die Steine von Kelvins Steinhügel erschüttern«, erwiderte Drizzt, während er die Schatten des Berges verließ und sich zu seinem Freund gesellte. »Und wenn die Bewohner von Zehn-Städte sich nicht vereint gegen sie stellen, werden sie dem Untergang geweiht sein.«
Bruenor hockte sich auf den Boden und richtete den Blick auf die fernen Lichter von Bryn Shander im Süden. »Das werden sie nicht, diese dickköpfigen Narren«, murmelte er.
»Vielleicht doch, wenn dein Volk zu ihnen geht.«
»Nein«, knurrte der Zwerg. »Wir werden jedoch an ihrer Seite kämpfen, wenn sie sich entschließen, gemeinsam zu kämpfen. Und dann wehe den Barbaren! Geh du doch zu ihnen, wenn du willst! Ich wünsche dir viel Glück dabei, aber wir Zwerge gehen nicht. Laß uns erst einmal sehen, ob das Fischervolk Mumm aufbringen kann.«
Drizzt lächelte. Bruenors Worte waren voller Ironie. Beide wußten nur zu gut, daß man dem Dunkelelfen in keiner Stadt traute außer in Waldheim, wo ihr Freund Regis Sprecher war. Ja, er war nicht einmal erwünscht. Bruenor bemerkte den Blick des Dunkelelfen, und es schmerzte ihn, so wie es Drizzt schmerzte, auch wenn dieser unerschütterlich vorgab, daß es nicht so sei.
»Sie schulden dir mehr, als sie jemals wissen werden«, sagte Bruenor energisch und sah seinen Freund mitfühlend an.
»Sie schulden mir gar nichts.«
Bruenor schüttelte den Kopf. »Warum sorgst du dich denn dann um sie?« knurrte er. »Immer und immer wachst du über diese Leute, die dir nicht einmal guten Willen zeigen. Was bist du ihnen denn schuldig?«
Drizzt zuckte die Achseln, da er darauf auch keine Antwort wußte. Bruenor hatte recht. Nachdem der Dunkelelf in diese Gegend gekommen war, war Regis der einzige gewesen, der ihm freundschaftliche Gefühle gezeigt hatte. Er hatte den Halbling auf den ersten gefährlichen Abschnitten der Route von Waldheim durch die offene Tundra nördlich vom Maer Dualdon und hinunter nach Bryn Shander häufig begleitet und beschützt, wenn Regis dort Geschäfte erledigen oder Ratsversammlungen besuchen mußte. Sie hatten sich sogar auf einer dieser Reisen kennengelernt. Regis hatte versucht, vor Drizzt zu fliehen, weil er furchtbare Gerüchte über ihn gehört hatte. Zum Glück war Regis ein Halbling und daher allen Wesen gegenüber aufgeschlossen. Er vermochte sich gut eine eigene Meinung zu bilden. Es dauerte nicht lange, bis die zwei dicke Freunde wurden.
Aber bis zu diesem Tag waren Regis und die Zwerge die einzigen in der Gegend, die den Dunkelelfen als Freund betrachteten. »Ich weiß selber nicht, warum ich mich derart um sie sorge«, antwortete Drizzt aufrichtig. Er dachte an seine uralte Heimat, wo Treue lediglich ein Mittel war, um sich einem gemeinsamen Feind gegenüber einen Vorteil zu sichern. »Vielleicht sorge ich mich, weil ich danach strebe, anders zu sein als mein Volk«, sagte er — eher zu sich als zu Bruenor. »Vielleicht sorge ich mich, weil ich anders bin als mein Volk. Vielleicht habe ich mehr Ähnlichkeit mit den Elfenstämmen auf der Oberfläche... das ist zumindest meine Hoffnung. Ich sorge mich, weil ich mich einfach immer um etwas sorgen muß. In dieser Hinsicht unterscheidest du dich nicht so sehr von mir, Bruenor Heldenhammer. Wir sorgen uns, weil sonst unser Leben leer wäre.«
Bruenor sah ihn schräg von der Seite an. »Du kannst mir gegenüber deine Besorgnis um die Bewohner von Zehn-Städte abstreiten, aber nicht dir selbst gegenüber.«
»Pah!« schnaubte Bruenor. »Natürlich denke ich an sie! Mein Volk ist nun mal auf den Handel angewiesen!«
»Dickkopf«, murmelte Drizzt und lächelte wissend. »Und Cattibrie?« setzte er ihm zu. »Was ist mit diesem Menschenmädchen, das vor Jahren bei dem Überfall auf Termalaine Waise wurde? Was ist mit diesem verwahrlosten Kind, dessen du dich angenommen und das du wie dein
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