Die vergessenen Welten 01 - Der gesprungene Kristall
zu Füßen des Zwerges waren im Westen die Lichter von Termalaine und hinter ihnen das im Dunkel liegende Maer Dualdon zu sehen, das gelegentlich von den Fahrlichtern eines Fischerbootes beleuchtet wurde, dessen ehrgeizige Mannschaft sich dickköpfig weigerte, ohne eine Knöchelkopfforelle an Land zu gehen.
Der Zwerg stand ein gutes Stück über dem Tundraboden und auch über dem niedrigsten der unzähligen Sterne, die die Nacht erleuchteten. Die Himmelskuppel schien unter der eisigen Brise zu glänzen, die seit dem Sonnenuntergang wehte, und Bruenor fühlte sich, als sei er den Fesseln der Erde entkommen.
An diesem Platz fand er immer wieder zu seinen Träumen zurück, die ihn in seine uralte Heimat brachten. Mithril-Halle, die Heimat seiner Väter und wiederum deren Väter, wo das glänzende Metall reich und in Strömen floß und die Hämmer der Zwergenschmiede zu Moradins und Dumathoins Lob erschollen. Bruenor war ein bartloser Junge gewesen, als sein Volk zu tief im Erdinnern gegraben hatte und von den finsteren Wesen, die dort in schwarzen Höhlen hausten, vertrieben worden war. Jetzt war er das älteste Mitglied seiner kleinen Sippe und der einzige, der einst noch die Schätze von Mithril-Halle gesehen hatte.
Nach der Vertreibung hatten sich die Zwerge in dem felsigen Tal zwischen den beiden nördlichsten der drei Seen niedergelassen, lange bevor andere Menschen nach Eiswindtal gekommen waren als die Barbaren, die es damals schon bewohnten. Sie waren der klägliche Rest einer einst wohlhabenden Zwergengesellschaft gewesen, ein Haufen Flüchtlinge, verzweifelt und gebrochen wegen des Verlusts ihrer Heimat und ihres Erbes. Ihre Bevölkerung nahm weiterhin ab, und die Alten starben gleichermaßen an Kummer und Altersschwäche. Obwohl in dieser Gegend der Bergbau sehr einträglich war, schien es den Zwergen dennoch bestimmt zu sein, auszusterben und in Vergessenheit zu geraten.
Doch mit dem Emporwachsen von Zehn-Städte verbesserte sich ihre Lage plötzlich zunehmend. Ihr Tal lag nördlich von Bryn Shander und so dicht an der Hauptstadt wie die anderen Fischerstädte, und die Menschen, die sich häufig gegenseitig bekämpften und Eindringlinge abwehrten, waren glücklich, die hervorragenden Rüstungen und Waffen der Zwerge erwerben zu können.
Aber trotz der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse sehnte sich vor allem Bruenor immer noch nach der alten Pracht seiner Vorfahren. Für ihn war das Aufkommen von Zehn-Städte nur eine Zwischenlösung. Wirklich gelöst würde ihr Problem erst sein, wenn Mithril-Halle wiedergefunden und wiederaufgebaut worden war.
»Eine kalte Nacht für einen so hohen Sitz, mein Freund«, ertönte eine Stimme hinter ihm.
Der Zwerg drehte sich zu Drizzt Do'Urden um, obwohl er wußte, daß er den Dunkelelfen vor dem Hintergrund von Kelvins Steinhügel nicht erkennen würde. Von diesem Aussichtspunkt aus war die Silhouette des Berges die einzige Abwechslung am sonst so eintönigen nördlichen Horizont. Er hatte seinen Namen erhalten, weil er einer planvollen Anhäufung von Findlingen ähnelte. In den Legenden der Barbaren hieß es, daß er früher wirklich als Grabstätte gedient hatte. Aber mit Sicherheit hatte das Tal, in dem sich die Zwerge niedergelassen hatten, keinerlei Ähnlichkeit mit einem natürlichen Orientierungspunkt. In alle Richtungen erstreckte sich flach und eben die Tundra. Im Tal selbst gab es nur wenige Stellen mit Erde zwischen den zerbrochenen Findlingen und Felswänden. In ganz Eiswindtal wiesen nur dieses Tal und der Berg an seiner nördlichen Grenze eine nennenswerte Menge Gestein auf, als wären sie in den frühesten Tagen der Schöpfung von einem Gott falsch angelegt worden.
Drizzt bemerkte den glasigen Ausdruck in den Augen seines Freundes. »Du sehnst dich nach einem Bild, das du nur noch in deiner Erinnerung sehen kannst«, sagte er. Er wusste von der besessenen Sehnsucht des Zwerges nach seiner uralten Heimat.
»Aber dieses Bild werde ich wiedersehen!« erklärte Bruenor entschieden. »Wir werden schon noch dorthin gelangen, Elf.«
»Wir kennen nicht einmal den Weg.«
»Straßen können gefunden werden«, entgegnete Bruenor, »aber erst, wenn man sie wirklich sucht.«
»Eines Tages, mein Freund«, tröstete ihn Drizzt. In den wenigen Jahren ihrer Freundschaft hatte der Zwerg Drizzt ständig zugesetzt, er solle ihn bei seinem Abenteuer begleiten, Mithril-Halle zu finden. Drizzt fand die Idee töricht, denn niemand, mit dem er gesprochen hatte, konnte
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