Die vergessenen Welten 07 - Das Vermächtnis
Armbrustbolzen, der aber viel zu klein für die Armbrüste war, die Bruenors Kämpfer trugen, oder für jede andere Waffe, die die Gefährten jemals gesehen hatten. Bruenor hob ihn mit seinen kurzen, dicken Fingern auf, hielt ihn dicht vor die Augen und betrachtete ihn sorgfältig.
»Haben wir Flinklinge in diesen Tunneln?« fragte er und bezog sich damit auf die winzigen, aber grausamen Feengeister, die eher in Waldgebieten heimisch waren.
»Eine Art von...« begann Wulfgar.
»Dunkelelfen«, unterbrach ihn Catti-brie. Wulfgar und Bruenor drehten sich zu ihr um. Wulfgars helle Augen blitzten vor Ärger darüber, unterbrochen worden zu sein, doch dies währte nur für den kurzen Moment, bis er die Bedeutung dessen verstand, was Catti-brie da gerade verkündet hatte.
»Der Elf hatte einen Bogen, zu dem das hier paßt?« fragte Bruenor nachdenklich.
»Nicht Drizzt«, berichtigte ihn Catti-brie grimmig, »andere Dunkelelfen.« Wulfgar und Bruenor runzelten in offenkundigem Zweifel ihre Stirnen, aber Catti-brie war sicher, daß ihre Vermutung zutraf. Damals, vor langer Zeit, auf den öden Abhängen von Kelvins Steinhügel im Eiswindtal hatte ihr Drizzt oft von seinem Heimatland erzählt und hatte ihr von den bemerkenswerten Errungenschaften und exotischen Gerätschaften des Volkes der Dunkelelfen berichtet. Dabei hatte er auch die beliebtesten Waffen der Dunkelelfen genannt, einhändig verwendete Armbrüste, deren Bolzen gewöhnlich mit Gift überzogen waren.
Wulfgar und Bruenor blickten einander an und hofften beide, daß der andere ein Argument finden würde, das Catti-bries schlimmer Vermutung widersprechen würde. Bruenor zuckte nur mit der Schulter, steckte den Bolzen weg und ging wieder auf den äußeren Tunnel zu. Wulfgar, dessen Gesicht vor Besorgnis gerötet war, blickte die junge Frau an.
Keiner von ihnen sprach - keiner brauchte es -, denn beide kannten die schrecklichen Geschichten über brandschatzende Dunkelelfen. Sollte sich Catti-bries Vermutung als richtig herausstellen, sollten wirklich Drowelfen nach Mithril-Halle gekommen sein, so würde das ernste Folgen haben.
Es lag jedoch noch etwas anderes in Wulfgars Blick, was Catti-brie Sorge bereitete, eine Besessenheit, sie zu beschützen, die so groß war, daß die junge Frau zu fürchten begann, daß sie die ganze Gruppe in Schwierigkeiten bringen würde. Sie zwängte sich an dem riesigen Mann vorbei, bückte sich und verließ die Kammer, in der Wulfgar mit seinem inneren Aufruhr im Dunkeln zurückblieb.
* * *
Die Karawane zog langsam, aber stetig ihren Weg durch die Tunnel, die immer natürlicher wurden und immer weniger Spuren von Bearbeitung zeigten. Drizzt trug noch immer seine Rüstung, aber man hatte ihn seiner Waffen beraubt und seine Hände mit einer magischen Schnur fest auf den Rücken gebunden. Sie würde sich nicht im geringsten lockern, wie sehr er seine Handgelenke auch verdrehen mochte.
Dinin, dessen acht Beine auf dem Boden klackerten, führte die Truppe an, dicht gefolgt von Vierna und Jarlaxle. Mehrere Mitglieder der zwanzigköpfigen Drowgruppe folgten ihnen in geordneten Reihen, darunter auch die beiden, die Drizzt bewachten. Einmal trafen sie auf eine größere Gruppe des Hauses Baenre, die sie ein Stück Wegs begleitete. Jarlaxle gab leise Anweisungen, worauf die zweite Drowstreitmacht bald davonschlüpfte und mit den Schatten verschmolz.
Erst jetzt begann Drizzt die Bedeutung des Überfalls auf Mithril-Halle zu verstehen. Nach seiner Zählung waren zwischen vierzig und sechzig Dunkelelfen aus Menzoberranzan heraufgekommen, und das war in der Tat eine schreckliche Angriffstruppe.
Und das alles war seinetwegen aufgeboten worden.
Aber er fragte sich auch, was mit Entreri war. Wie paßte der Meuchelmörder in das Ganze? Er schien sich sehr gut in die Gruppe der Dunkelelfen einzufügen. Da er von gleichem Wuchs und Temperament war, bewegte er sich ungezwungen und ohne aufzufallen in den Reihen der Drow.
Zu gut, dachte Drizzt.
Entreri verbrachte einige Zeit mit dem kahlrasierten Söldner und mit Vierna, fiel dann aber Reihe um Reihe zurück und bewegte sich damit unvermeidlich auf seinen meistgehaßten Feind zu.
»Gut, dich zu treffen«, sagte er barsch, als er schließlich neben Drizzt marschierte. Ein Blick des Menschen genügte, und die beiden Dunkelelfen zogen sich respektvoll zurück.
Drizzt sah den Meuchelmörder einen Moment intensiv an und suchte nach Hinweisen, dann wandte er sich demonstrativ ab.
»Was?«
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