Die Vergessenen Welten 12 - Schattenzeit
können, wenn er sie geschlagen hätte, dennoch war Meralda nicht wütend auf ihren Mann. Sie verstand seine Zweifel und Befürchtungen im Licht ihrer eigenen distanzierten Stimmung und der sichtbaren Tatsache, dass sie mit einem anderen Mann zusammen gewesen war.
Die Frau sagte sich wieder und wieder, dass sie und Feringal zu einem normalen Zusammenleben finden würden, sobald das Kind geboren und fortgebracht worden war. In jener Zukunft, wenn der Druck gewichen war, der jetzt auf ihnen lastete, würden sie eine tiefe Liebe füreinander entwickeln. Sie konnte nur hoffen, dass die dafür nötige und vorhandene Grundlage sich nicht in den Monaten verflüchtigen würde, die sie noch bis zur Geburt ausharren mussten. Natürlich wurden auch Priscillas böse Blicke, die sie Meralda zuwarf, häufiger, je mehr sich die Spannungen zwischen den Eheleuten verstärkten. Die Macht, die sie dadurch gewonnen hatte, dass sie Feringal um den kleinen Finger wickeln konnte, hatte Meralda in dem beständigen lautlosen Krieg mit Priscilla bislang die Oberhand behalten lassen. Je deutlicher sie jedoch von dem Kind eines anderen Mannes anschwoll, desto mehr schwand diese Macht. Sie verstand es jedoch nicht, wenn sie daran dachte, wie Pricilla reagiert hatte, als sie zuerst von der Vergewaltigung erfahren hatte. Priscilla hatte sogar davon gesprochen, das Kind als ihr eigenes anzunehmen und es fern von der Burg aufzuziehen, wie dies in ähnlichen Situationen häufig gehandhabt wurde.
»Du bist ungewöhnlich dick für das frühe Stadium deiner Schwangerschaft«, erklärte Priscilla am selben Wintertag, an dem Feringal sie nach Wulfgar gefragt hatte. Meralda erkannte, dass die verschlagene Frau offensichtlich die Spannung zwischen dem Ehepaar bemerkt hatte. In Priscillas Stimme schwangen ungewöhnlich offen Misstrauen und Giftigkeit mit, was Meralda verriet, wie genau ihre Schwägerin die verstreichende Zeit im Auge behielt. Es würde ernsthafte Probleme geben, wenn Meralda nur sieben Monate nach dem Geschehen auf der Straße ein Baby zur Welt brachte, das so groß und gesund war, als wäre es vollständig ausgetragen worden. Ja, Priscilla würde mit Sicherheit Fragen stellen.
Meralda lenkte das Gespräch in andere Bahnen, indem sie ihre Befürchtungen über die Größe des Barbaren und darüber äußerte, dass sein Kind sie vielleicht zerreißen würde. Das hatte Priscilla vorerst zum Schweigen gebracht, aber Meralda wusste, dass diese Waffenruhe nicht lange anhalten würde und dass neue Fragen auftauchen würden.
Tatsächlich wurden in Auckney Tuscheleien laut, als Meraldas Bauch gegen Ende des Winters immer mehr anschwoll. Es wurde über das Geburtsdatum des Kindes geredet. Man flüsterte über Jaka Sculis tragischen Tod. Meralda war nicht so naiv, dass sie nicht bemerkte, wie die Leute die Zeit an den Fingern abzählten. Sie bemerkte auch die Anspannung im Gesicht ihrer Mutter, obwohl die Frau sie nicht offen nach der Wahrheit fragte.
Als das Unvermeidliche eintrat, war es erwartungsgemäß Priscilla, die es aussprach.
»Du wirst dein Kind im Monat Ches zur Welt bringen«, verkündete die Frau in ziemlich scharfem Ton, während sie und Meralda an einem kalten Abend mit Verwalter Temigast speisten. Die Tagundnachtgleiche war nicht mehr weit entfernt, aber der Winter hatte das Land noch immer fest im Griff, und ein heulender Sturm peitschte den Schnee gegen die Burgmauern. Meralda schaute die Frau skeptisch an.
»In der Mitte des Ches«, sagte Priscilla. »Vielleicht auch erst Ende des Monats oder am Anfang des Sturmmonats.«
»Siehst du ein Problem mit der Schwangerschaft voraus?«, griff Verwalter Temigast ein.
Wieder einmal stellte Meralda fest, dass der Mann ihr Verbündeter war. Er wusste oder vermutete mindestens ebenso viel wie Priscilla, und doch zeigte er keine Feindseligkeit gegen Meralda. Sie hatte begonnen, Temigast als eine Art Vaterfigur anzusehen, und dieser Vergleich erschien ihr jetzt noch passender, als sie an den Morgen nach ihrer Nacht mit Jaka zurückdachte. Dohni Ganderlay hatte damals geahnt, was vorgefallen war, ihr jedoch angesichts ihres Opfers und des größeren Wohls der Familie verziehen.
»Ich sehe tatsächlich ein Problem«, erwiderte Priscilla spröde, und es gelang ihr irgendwie, durch ihren Tonfall deutlich zu machen, dass sie kein Problem mit den körperlichen Aspekten der Schwangerschaft meinte. Sie schaute Meralda mit einem bezeichnenden Hüsteln an, ließ ihre Serviette auf den Tisch fallen
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