Die Vergessenen Welten 16 - Die Drachen der Blutsteinlande
gestorben?«
»Nicht lange, nachdem du weg warst«, sagte die Frau. »Sie war krank, und es wurde schlimmer, nachdem sie ihren Sohn weggeschickt hatte. Als hätte sie keinen Grund mehr zu kämpfen, nicht, nachdem die Priester ihr Geld genommen und ihre Magie gewirkt und gesagt hatten, sie könnten nichts mehr für sie tun.«
Entreri holte tief Luft, um sich zu beruhigen, und erinnerte sich, dass er von Anfang an nicht erwartet hatte, Shanali lebendig vorzufinden.
»Sie ist, wo sie alle sind«, sagte die alte Frau und überraschte ihn damit. »Auf dem Hügel, hinter dem Felsen, wo sie jene begraben, deren Namen es nicht wert sind, dass man sich an sie erinnert.«
Wie alle, die ihre Kindheit in diesem Teil von Memnon verbracht hatten, kannte Entreri den Armenfriedhof gut, ein Stück Erde hinter einem großen Felsvorsprung über dem südwestlichen Teil des Hafens. Unwillkürlich schaute er in diese Richtung, und dann ging er davon, ohne ein weiteres Wort zu der alten Frau und nur mit einem letzten Blick zu der Hütte, die einmal sein Zuhause gewesen war, einem Ort, von dem er wusste, dass er nie dorthin zurückkehren würde.
24
Den Dingen auf den Grund gehen
Jarlaxle hatte Entreri den Rücken zugewandt und tat so, als schaute er aus der Tür der Hütte auf die morgendliche Straße hinaus. Athrogate schlief noch zufrieden in einer Ecke des Raums, wobei sein Schnarchen in unregelmäßigen Abständen unterbrochen wurde – Jarlaxle amüsierte sich mit der Vorstellung, dass in diesen Augenblicken Spinnen in den offenen Mund des Zwergs krochen.
Entreri saß am Tisch und wirkte zornig und angespannt – so, wie er die meiste Zeit ausgesehen hatte, die er mit Jarlaxle verbracht hatte. Jarlaxle hatte gehofft, das mit Hilfe von Idalias Flöte ändern zu können.
Sie waren so gut vorangekommen, klagte der Drow in Gedanken, aber dann hatte diese dumme Frau Entreri verraten und ein Loch in sein offen liegendes Herz gerissen. Und das Schlimmste war – Jarlaxle wusste das, aber Entreri nicht –, dass Calihye ihn nicht einmal wirklich hatte angreifen wollen. Emotional hin und her gerissen, verwirrt durch ihre Gefühle und verängstigt von dem Gedanken, die Blutsteinlande zu verlassen, war sie schließlich einem Impuls gefolgt. Ihr Angriff hatte nichts mit Böswilligkeit gegenüber Artemis Entreri zu tun, wie es in den frühen Tagen ihrer Beziehung gewesen wäre, sondern war tatsächlich von Schrecken und Trauer angetrieben worden, und einem Schmerz, über den sie sich einfach nicht hinwegsetzen konnte.
Jarlaxle hoffte, dass Artemis Entreri dies eines Tages wissen würde, aber er bezweifelte es. Da Calihye sich jedoch sicher unter der Kontrolle von Bregan D’aerthe befand, wollte er lieber nicht »nie« sagen.
Das dringlichere Problem jedoch hatte selbstverständlich mit dieser Höllenstadt Memnon zu tun. Entreri war nach Hause zurückgekehrt, aber was das bedeutete, wusste Jarlaxle nicht genau. Er warf einen Blick zurück zu dem finster dreinschauenden Meuchelmörder, der ihn nicht zu bemerken schien. Offenbar bemerkte er überhaupt nichts. Er saß aufrecht da und hatte die Augen offen, aber Jarlaxle nahm an, dass er nicht mehr bei sich war als der schnarchende Zwerg in der Ecke.
Mit einer langsamen Bewegung holte Jarlaxle eine der kleinen Phiolen aus dem Beutel an seinem Gürtel. Er starrte sie lange Zeit an, denn er hasste sich dafür, wieder so manipulativ gegenüber seinem Freund zu sein.
Dieser Gedanke überraschte den Drow: Wann in seinem ganzen Leben hatte er jemals so etwas empfunden? Vielleicht bei seinem Verrat an Zaknafein vor all diesen Jahrhunderten?
Wieder schaute er Entreri an, und er hatte das Gefühl, seinen alten Drow-Freund vor sich zu sehen.
Ich musste es tun, erinnerte er sich, vor allem für Entreri.
Er schluckte den Inhalt der Phiole herunter.
Dann schloss er die Augen, als sich die Magie in seinem Körper und seinem Geist ausbreitete, als er begann, die Gedanken der anderen im Raum zu »hören«. Er musste daran denken, wie wohl das Leben von Kimmuriel aussah, der sich stets in einem solchen Zustand gesteigerter Wahrnehmung befand, und einen Moment lang verspürte er echtes Mitleid mit dem Psioniker.
Dann schüttelte er den Kopf, seufzte tief und erinnerte sich daran, dass er für solche Ablenkungen keine Zeit hatte. Die Magie würde nicht lange anhalten.
»Wirst du mir also sagen, wohin du gestern gegangen bist?«, fragte er und wandte sich seinem Freund zu.
Entreri blickte zu ihm auf.
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