Die Vergessenen
Shree. »Man sollte ihn antreiben. Man sollte ihn zwingen.«
»Wie genau?«
»Konfrontiere ihn mit der Realität hier. Stoße ihn mit der Nase hinein. Zeige ihm die Stadt der Drachenmänner, vielleicht Zealos, vielleicht gar die Atheter-KI – das sollte ihn aufwecken.«
Vielleicht wusste sie nicht, dass die Atheter-KI inzwischen noch weniger mitteilsam war als Penny Royal – das war schließlich nicht allgemein bekannt.
»Was macht er da?«, fragte sie.
Grant zuckte die Achseln und ging zum ehemaligen Proktor hinüber. Tombs hatte inzwischen ein Knie am Boden und erweckte den Eindruck zu beten, und Grant empfand einen Augenblick lang seine Gewalttätigkeit dort oben in Barmherzigkeit als gerechtfertigt. Aber nein, mit sand- und schlammverschmierten Händen harkte der Mann die Finger durch den Erdboden, sammelte Molluskenschalen ein und baute sie an seiner Seite zueinem kleinen Stapel auf. Der Soldat spürte einen Hauch von Kälte im Rückgrat, als er sah, dass die Schalen euklidische Muster zeigten; es waren die Schalen von Pfennigmuscheln.
»Wer hat meine Kleidung entworfen?«, fragte Tombs.
»Sie wurde auf dem Schiff bereitgestellt, aber ich vermute, dass Penny Royal oder Amistad etwas damit zu tun hatte.«
Tombs nickte, schaufelte die Muschelschalen auf und steckte sie sich in die Hosentasche. »Ja, ich erinnere mich an Amistad – eine Maschine in der Gestalt eines Gliederfüßers. Sie hat mir Angst eingejagt.« Er blickte zu Grant auf. »Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, warum sie solche Gestalten tragen.«
»Amistad war einmal eine Kriegsmaschine«, antwortete Grant. »Die Gestalt ist sowohl funktionsgerecht – nach wie vor ist es die Evolution, die die besten Entwürfe hervorbringt – als auch dazu gedacht, den Prador Angst zu machen, einem außerirdischen Feind, gegen den die Polis einst Krieg führte.« Noch während er das sagte, war sich Grant nicht mehr ganz sicher. Viele Polismaschinen trugen Gestalten, die Unbehagen hervorriefen, und sie waren nicht alle für den Krieg gefertigt worden.
»Die Prador, ja, ich weiß von ihnen.« Tombs stand auf und blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren, als suchte er nach jemandem, aber Shree war dort nicht zu sehen, niemand war dort zu sehen. Der Mann schloss dann kurz die Augen, senkte den Kopf und hob ihn wieder, die Augen jetzt offen und feucht. Er fuhr fort: »Die Evolution … aber wie viel davon ist hier vorzufinden?«
»Du meinst, seit der Schöpfung«, sagte Shree von ihrer Position hinter Grant aus, und sie sprach damit exakt die Worte aus, die dieser selbst gerade hatte sprechen wollen.
»Nein, seit der Erschaffung der Atheter-Lebensform.«
Grant empfand jetzt Verachtung für sich selbst – wie leicht ihm doch diese alten Denkschemata fielen.
Tombs hielt eine Muschelschale noch in der Hand und säuberte sie an der Kleidung, wobei er mit fast lästerlicher Sorglosigkeit Dreck über den in den Stoff eingewebten Text schmierte. Er betrachtete das Muster auf der Schale und deutete dann mit dem Kopf auf Greenport.
»Die Leute, die mich umzubringen versucht haben, haben solche Muster anstelle von Satagententexte auf ihrer Kleidung benutzt, die als direkter Gegenentwurf zur Proktorenuniform gedacht waren.« Er unterbrach sich und runzelte die Stirn. »Ich fasste es als die Schrift eines Dämons auf.«
»Du hast das gesehen? Wie fasst du es jetzt auf?«
»Als Muster.«
Grant versuchte, das zu verstehen, fand aber nur Verwirrung. »Gehen wir weiter?«
Tombs folgte Grant, als dieser seinen Weg fortsetzte. Grant fiel auf, dass der einstige Proktor jetzt neben ihm ging, während Shree auf Distanz blieb, vielleicht um sie für ihren Nachrichtensender besser ins Bild setzen zu können.
Bald erreichten sie den befestigten Stellplatz, auf dem Grant seinen Geländewagen geparkt hatte. Ein Blick zum Hafen zeigte ihm, dass kein Schiff angedockt war, obwohl eines draußen auf dem Meer zu sehen war. Aber ob es sich entfernte oder gerade heranfuhr, das konnte er nicht erkennen.
»Wir nehmen die Nordstraße Richtung Zealos, biegen bei Bradacken ab und fahren dann bis zum Tagreb auf ganzer Strecke durch die Wildnis.« Grant zog die Seitentür des Geländewagens auf, stieg ein und ging geduckt zum Führerhaus. Dieses bot Plätze für Fahrer und Beifahrer und hatte zwei weitere Sitze dahinter. Grant blickte zurück, als erst Tombs und dann Shree einstiegen. Der Proktor hielt in der Heckkabine an und sah sich dort mit der gleichen eigenartigen
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