Die Vergessenen
Wirklichkeit in Kenntnis zu setzen.«
»Ich dachte, du wolltest, dass er weiter daran glaubt«, sagte sie bitter. »Ich dachte, sein Schuldgefühl über meine vermutete Ermordung sollte einer der Faktoren sein, der dir ermöglicht, an das zu kommen, was in seinem Verstand gespeichert ist.«
»Nicht so sehr das, vielmehr sollte es seine Kooperation über eine begrenzte Zeitspanne fördern. Da jedoch einer der Hauptantriebsfunktionen religiöser Indoktrinierung Schuld ist, für die keine Wiedergutmachung möglich ist – wie zum Beispiel die Erbsünde, gänzlich natürliche sexuelle Impulse und das generelle Schuldgefühl über die Unfähigkeit, mit Absicht unerreichbar formulierten Idealen gerecht zu werden –, kann jemand mit der entsprechenden Mentalität eher darin schwelgen, und für unsere Zwecke könnte es jetzt zu einem Hindernis werden, sich gar als zerstörerisch erweisen.«
»Zeige ihm doch einfach Aufzeichnungen dessen, was du getan hast – von mir, wie ich anschließend aufstehe und das künstliche Blut abwische.«
»Nicht dramatisch genug«, stellte Amistad fest. »Menschen benötigen stets Dramen, wenn grundlegende Glaubensstrukturen verändert werden sollen, andernfalls fallen sie einfach in die alten Schemata zurück. Sie benötigen ein Übermaß an Schmerz, an Freude, starken Gefühlen oder neuen Erfahrungen, um die Änderung dem schwerfälligen Aufnahmemedium zwischen ihren Ohren einzuprägen.«
»Weißt du, Amistad, du kannst manchmal wirklich lästig sein.« Sanders nahm erneut die Fernbedienung zur Hand und drückte »Folgen«. Die beiden Koffer klappten zu, stiegen ein paar Zentimeter über den Fußboden auf und folgten ihr, als sie das Zimmer verließ. »Was möchtest du also von mir?«
»Ich bin darauf angewiesen, dass du für mich verfügbar bleibst – vorzugsweise unweit von Dragon Down, was nach meiner Berechnung Tombs’ Ziel sein wird, sobald er seinen nächsten mentalen Nexus erreicht.«
»Sie haben dort doch Unterkünfte für Menschen, oder?«
»Irgendwie schon – die Drachenfrau Blau hat alles für deine Ankunft vorbereitet.«
»Du scheinst dir ziemlich sicher zu sein, dass ich tue, was du von mir verlangst«, sagte Sanders. »Meine Meinung von deinen Methoden und Zielen hat sich nicht geändert. Solltest du schließlich an das gelangen, was der Techniker in Tombs hinabgeladen hat – falls er überhaupt irgendetwas von Wert im Kopf hat –, besteht das Ergebnis auch in einem geistig gesundeten Individuum und jemandem, der für dich von keinerlei Interesse mehr ist.«
»Tombs ist schon in einen Zustand zurückgekehrt, den Menschen als geistig gesund klassifizieren«, setzte Amistad ihr auseinander. »Er ist nach deiner Definition sogar noch vernünftiger geworden – sein ganzes System von Glaubensvorstellungen bricht zusammen und bildet sich neu.«
»Was?« Sanders blieb vor der Tür zum Garten des Bischofs stehen.
»Es ist im Grunde amüsant«, fuhr die Drohne fort. »Er hat seine Fiktion aufrechterhalten, indem er unterstellte, du wolltest seinen Glauben brechen und ihn aus diesem Grund mit Fehlinformationen füttern. Die Fehlinformationen sind wahr, und doch ist es Realität, dass nicht mal die Wahrheit Glauben zerstören kann – Glauben ist seinem Wesen nach nicht von Wahrheit abhängig.«
»Was hat ihn dann geistig wieder gesund gemacht?« Sanders öffnete die Tür und trat in den Garten hinaus, und ihr Atem ging jetzt tiefer und schneller.
»Es geschah, indem er die Wahrheit akzeptierte, angespornt durch den eigenen Versuch, sich das Gesicht herunterzuschneiden, das er für eine Polisprothese hielt.«
»Was?!« Das Grauen schnürte Sanders den Hals ab. Welche entsetzlichen grotesken Spiele trieb diese Drohne mit Tombs’ Verstand?
»Der Schaden wurde wieder behoben«, setzte Amistad hinzu.
»Er hat sich das Gesicht abgeschnitten und seinen Glauben verloren?«
»Nein.«
»Du hast doch gerade gesagt …«
»Ich sagte gerade, dass nicht Wahrheit Glauben zerstört – Eingaben von außen verändern eine solche Indoktrinierung nicht.«
»Wie kommt es dann, dass er seinen Glauben verliert?«
»Ein innerer Stimulus – etwas, das zuvor nicht da war.«
»Der Download.«
»Das scheint die wahrscheinlichste Erklärung.«
Sobald sie auf dem Weg außerhalb des Sanatoriums stand, drehte sie sich um und blickte zurück. »Was wird aus dieser Einrichtung?«
»Es wurde vorgeschlagen, ein Museum daraus zu machen, aber schon heute befassen sich genug Museen mit der
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