Die Vergessenen
an die Öffentlichkeit gelangte, würde Tombs gar nicht so schlecht dastehen – besonders wenn bekannt wurde, dass Jerval Sanders gar nicht tot war und man Tombs nur weisgemacht hatte, er hätte sie umgebracht. Grant schnitt eine Grimasse. Vor Kurzem noch hatte er das Ausmaß an Schuldgefühlen, das Amistad diesem Mann aufgeladen hatte, für eine gerechte Strafe gehalten. Jetzt war er nicht mehr so davon überzeugt. Er wusste, dass Schuldgefühle zu den mentalen Triebkräften gehört hatten, die Tombs dazu brachten, sich zu verstümmeln und auf diese Weise durch eine bizarre Form von Opfer oder Wiedergutmachung geistig zu gesunden, aber bestand jetzt noch Bedarf daran?
»Dieses Interview ist beendet«, erklärte Tombs.
»Aber wir sind doch noch gar nicht zu den guten Sachen gekommen. Ich möchte deine Gedanken zur Theokratie hören, zur Besetzung, zur Polis …«
»Nein, Shree Enkara, du möchtest mich als Nachweis der Gründe herausstellen, aus denen du im Recht zu sein glaubst.Du möchtest deine eigene Bitterkeit bekräftigen, den eigenen Glauben …«
»Glaube ist auch ein gutes Thema.«
Tombs gab keine Antwort, und als Grant einen Blick auf die Rücksitze warf, lehnte der Mann an der Fahrzeugflanke und starrte mit grimmiger, verbitterter Miene zum Fenster hinaus.
»Vielleicht kannst du deinen Glauben an Gott erklären und warum du denkst, Zelda Smythe wäre seine abschließende Prophetin«, beharrte Shree. »Vielleicht kannst du erklären, warum dein Gott wahrer ist als die Tausende Götter, die von Primitiven angebetet worden sind, oder warum du als gottesfürchtiger Mann mit der Vorstellung einverstanden bist, dass Menschen in der Hölle brennen.« Grant stellte fest, dass Tombs dabei zusammenzuckte. »Vielleicht möchtest du uns erklären, warum die großartige und wundervolle Theokratie auf Folter, Mehrfachhinrichtungen, Satellitenlaser und eine Gaußkanone im Orbit angewiesen war, um die Ordnung auf diesem Planeten aufrechtzuerhalten, und warum sie gegen gottlose Maschinen verloren hat.«
Tombs biss einfach nicht an, und Shree klang allmählich wie ihr Name.
»Shree«, sagte Grant, »lass den Mann in Ruhe und setz dich neben mich.«
Nach kurzer Pause stand sie auf, kam nach vorn und plumpste auf den Sitz neben Grant.
»Zeitverschwendung«, sagte sie. »Das wird nie gesendet.«
Falls Earthnet und die für die politische Überprüfung zuständigen KIs auf Unparteilichkeit bedacht waren, dann vermutete auch Grant, dass keine Ausstrahlung erfolgen würde. Er deutete zur Seite der Nordstraße – die im Wesentlichen ein fünf Meter breiter Streifen aus festgefahrenem Flötengras war, der bis nach Zealos führte – auf einen kleinen Hügel mit einem einzelnen Garagentor in der Flanke. »Bunker eins.«
»Keine Kapuzler-Warnung«, sagte Shree und deutete mit dem Kopf auf eine Lampe auf einem Mast, wie sie in Abständen von jeweils einem halben Kilometer die Straße säumten.
»Die Lampen besagen heute gar nichts mehr«, erklärte Grant. »Falls Kapuzler in der Nähe auftauchen, erhalte ich die Warnung direkt aus dieser Konsole.« Er deutete auf die Armaturen hinter der Lenksäule. »Zusätzlich erhalte ich Einzelheiten über den besten Bunker, den ich ansteuern sollte.«
Das System war effizienter geworden. Zur Zeit der Theokratie waren Kapuzler von Bewegungssensoren im Flötengras entdeckt worden, unterstützt durch Satkams, soweit verfügbar. Sobald ein Kapuzler innerhalb von zehn Kilometern zur Straße auftauchte, blinkten sämtliche Lampen des entsprechenden Abschnitts los, und die Lkw nahmen Kurs auf den nächsten Bunker. Je nach Position des Kapuzlers war der nächste Bunker jedoch nicht die sicherste Fluchtmöglichkeit. Die Verlustrate an Lastwagen und deren Fahrern hatte bei etwa zehn Prozent gelegen. Heute kam es unter den Fahrern hier draußen nur noch zu Todesfällen, wenn jemand die unmittelbare Warnung, die er erhielt, nicht beachtete, und das geschah ab und an.
Als sie am Bunker vorbei waren, machte es sich Grant für die fünfstündige Fahrt bequem, die ihnen bevorstand. Er fragte sich, wo Penny Royal Stellung bezogen hatte, griff an der Lenksäule vorbei und gab eine Anfrage in die Konsole ein. Einige Zahlen erschienen auf deren kleinem Computermonitor. Die Zuladung des Geländewagens entsprach präzise den Werten, die bei den drei Personen an Bord zu erwarten waren, und somit schien unwahrscheinlich, dass Penny Royal auf dem Dach hockte. Also war er irgendwo da draußen und hielt
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