Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Konzentriertheit um, mit der er auch nach Greenport geblickt hatte. Erkannte er das Fahrzeug wieder? Erkannte er die einstige Ambulanz, inzwischen stark umgebaut und modernisiert – genau die Ambulanz,mit der Grant ihn damals ins Triada-Lager brachte, nachdem der Techniker ihn zerlegt hatte?
    Nach einer vielsagenden Pause kam Tombs nach vorn und setzte sich auf einen der beiden Rücksitze, und Shree folgte ihm und setzte sich auf den Platz neben ihm. Grant hatte erwartet, dass sich einer von beiden neben ihn setzen würde. Warum Shree das nicht getan hatte, wurde deutlich, kurz nachdem Grant den Geländewagen gestartet hatte und Kurs auf die Hafenstraße nahm.
    »Also, Jeremiah Tombs, vielleicht möchtest du mir deine Meinung zur Theokratie und zur Besetzung Masadas durch die Polis mitteilen … deinen Eindruck von allem, was du gesehen und erlebt hast, seit du wieder … genesen bist.«
    Also ein persönliches Interview. Wusste Tombs, dass Shree Reporterin für Earthnet war und was das nach sich zog?
    »Dein Name lautet Shree Enkara«, stellte Tombs fest.
    »Ja.«
    »Früher eine Rebellin, deren wichtigste Gegner Personen in meiner ehemaligen Position waren«, sagte Tombs. »Wenn einer von uns verschwand, hielten wir exakt zehn Tage später eine Totenwache, wobei wir von der Annahme ausgingen: Wenn er sich in der Wildnis verirrt und jeden Kontakt verloren hatte, wäre er innerhalb dieser Zeitspanne gestorben, und wäre er von deinen Leuten gefangen genommen worden, war er ohnehin so gut wie tot. Wie unparteilich wird dieses Interview sein, Shree Enkara?«
    Wie es schien, schätzte Tombs die Lage präzise ein.
    »Sollte Parteilichkeit meinerseits nicht dazu führen, dass der Bericht zurückgezogen wird, erhält er gewöhnlich einen Begleitkommentar, entweder von einem Earthnet-Moderator oder einer KI. Du erhältst also eine faire Anhörung, obwohl ich anderen die Beurteilung überlasse, ob du das verdient hast. Erzähle mir, Tombs: Wie oft hast du Schläge verabfolgt, und wie viele Menschen hast du getötet?«
    Wie es schien, hatte Shree sich für Parteilichkeit entschieden.
    »Ich habe im Zuge der Ausbildung zum Proktor einmal mit einem Stock Schläge verabfolgt. Der Bischof von Triada hat das beaufsichtigt und hielt es für einen wesentlichen Teil meiner Einführung.«
    »Hattest du Spaß daran?«
    »Ich habe mich anschließend in aller Öffentlichkeit erbrochen, und zur Strafe ließ mich der Bischof durch einen der anderen Auszubildenden verprügeln.«
    »Ich bin sicher, der Bischof wollte sicherstellen, dass seine Proktoren auch eine ordentliche Ausbildung erhielten.«
    In Shrees Tonfall schwang jetzt Schärfe mit. Das lief gar nicht so, wie sie es sich gewünscht hatte.
    »Ich bin sicher, er fand noch die Zeit, es zu bedauern, als die Rebellen ihn in einen Sack nähten und in einen Squermteich warfen«, feuerte Tombs zurück. »Ich frage mich, ob die Squerme ihn zerfetzt haben, ehe er ertrank.«
    »Wir entfernen uns jetzt vom Thema, also von dir. Wie viele Menschen hast du umgebracht?«
    »Ich habe während des Feuergefechts im Triada-Lager vielleicht jemanden getroffen. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen – wir waren zu dem Zeitpunkt schon zu sehr davon in Anspruch genommen, zu flüchten und zu sterben.«
    »Sicherlich warst du doch an Hinrichtungen beteiligt? Du warst doch dabei, als jemand über frischem Flötengras angepflockt wurde?«
    »Nein. So etwas habe ich weder gesehen, noch habe ich daran mitgewirkt. Ich habe einmal gesehen, wie mein Commander einem Teicharbeiter in den Kopf schoss, aber das ist alles.«
    »Wie hast du dich dabei gefühlt?«
    »Ich habe gekotzt – diesmal vorsichtigerweise außer Sichtweite.«
    »Also hast du nie jemanden umgebracht.«
    »Als Proktor nicht.«
    »Also hast du jemanden umgebracht?«, fragte Shree, die Blut witterte.
    Nach langer Pause antwortete Tombs langsam und deutlich, aber mit leicht stockender Stimme, als stünde er kurz davor, in Tränen auszubrechen. »Ich habe bei meiner Flucht von der Häretikerinsel eine Meditechnikerin umgebracht, die ich nur unter dem Namen Sanders kannte.«
    Warum hatte er das Shree verraten?, fragte sich Grant. »Ihr voller Name lautete Jerval Sanders«, sagte er, und erst, nachdem er das ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, warum Tombs es erwähnt hatte. Er beichtete.
    »Jerval«, wiederholte Tombs.
    »Hast du danach gekotzt?«, fragte Shree mit hässlichem Unterton.
    Grant konzentrierte sich aufs Fahren. Falls dieses Interview

Weitere Kostenlose Bücher