Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe

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Himmelblau, Cölinblau, vielleicht Lapis Lazuli?«
    Sie drehte sich um und starrte auf die Plastik. »Er trug keinen Namen, denn er besaß weder eine Identität noch einen erkennbar individuellen Verstand.« Sie deutete mit anmutiger Geste auf die Plastik. »Ich betrachte das gern als Tribut des Technikers an ihn.«
    »Der einzige Tribut, den er leisten konnte«, sagte Tombs mit ausdrucksloser Stimme, noch weniger menschlich als die Blaus. »Und die letzte Plastik, die er je angefertigt hat.«
    Chanter schluckte trocken. Obwohl er in einem Winkel seines Selbst an einem anderen Ort sein wollte, nur nicht hier, so wusste er doch im Innersten, dass er einfach nirgendwo anderssein konnte. So, mindestens zwei Drachenmenschen hatten sich schon auf Masada aufgehalten, ehe Drache sich opferte und wiedergeboren wurde. Einer von beiden stand nicht weit von Chanter, während die Überreste des anderen dort in dieser Nische standen.
    »Wirst du mir alles erklären?«, fragte er.
    Blau deutete auf die beiden sonderbaren, organisch aussehenden Helme. Chanter hatte sehr gehofft, dass sie das nicht tun würde, war aber im Grunde nicht überrascht. Er ging hinüber, hob einen auf, fühlte sich von der Wärme des Gegenstandes leicht abgestoßen, ging zu einem Stuhl und plumpste darauf. Er warf Blau einen trotzigen Blick zu und stülpte sich den Helm auf den Kopf. Etwas versetzte ihm fast augenblicklich einen Stich; dann gruben sich ihm Nadeln in die Kopfhaut, und ihm wurde allmählich etwas seltsam zumute. Er fand noch die Zeit zu sehen, dass Tombs den anderen Helm packte, ehe die spezielle Wirklichkeit, die Chanter bewohnte, zersplitterte und sich auflöste und eine tiefer liegende Schicht freilegte. Die Erinnerungen Draches und seiner Kinder wurden in Chanters Kopf herabgeladen:
    …
    Die Theokratie lag vor ihm, fast bereit für Veränderung und fröhliche Manipulation. Schon benutzte ein großer Teil der höheren Theokraten die Dracocorp-Verstärker, die ihnen von den Cheyne-III-Separatisten geliefert wurden, und beim Näherkommen spürte Drache das sich ausbreitende Netzwerk. Dieses Netzwerk war jedoch noch nicht zu voller Reife gelangt, wobei jemand eine vorherrschende Position darin einnahm; jemand, den Drache daraufhin geistig übernehmen konnte, um mit seiner Hilfe alle anderen zu manipulieren. Tatsächlich hatte es gar den Anschein, dass ein großer Teil der Verstärkernetzkanäle von einer Gruppe mit Gebeten belegt war, die man Brüder der Septarchie nannte – etwas, was geeignet war, den ganzen Ablauf zu bremsen.
    Er pickte sich die wichtigsten Informationen heraus, während er ins System von Masada glitt, wobei er elektronisch vor den primitiven Sensoren der Theokratie abgeschirmt blieb. Dabei bemerkte er, dass die Theokraten die Quelle ihrer Verstärker kannten und mit ihrem religiös verformten Denken eine dazu passende Mythologie gestrickt hatten. Das schien es ihnen möglich zu machen, etwas zu akzeptieren, was vorher nicht zur Doktrin gepasst hatte.
    Sie nannten Drache Behemoth und verzerrten dieses Etikett ihren eigenen Absichten gemäß. Behemoth war, so schien es, ein nur halb gefallener Engel, ein Abtrünniger und Spitzbube, aber nicht gänzlich böse. Die Verstärker waren eine Gabe dieses Wesens, ein machtvolles Werkzeug seraphischen Ursprungs, das sie in die Verdammnis stürzen konnte, wenn sie nicht stark genug waren und sich nicht ausreichend an die Lehrsätze ihres Glaubens hielten. Drache liebte das an den Menschen: Sie konnten sich zum eigenen Vorteil sogar selbst anlügen. Dann bannte etwas anderes seine Aufmerksamkeit, als er durch die von ihm projizierte Sensorenwolke etwas entdeckte:
    Masada.
    Sie hatten ihren Planeten nach der jüdischen Festung benannt, in der sich Fanatiker lieber selbst umgebracht hatten, als den römischen Belagerern in die Hände zu fallen. Allerdings nutzten die Theokraten den Planeten nicht als Festung, sondern unterhielten ihre Machtbasis im Weltraum, in den Zylinderwelten, die derzeit im Bau waren, sowie der wachsenden Raumflotte. Lag der Grund in einem Gespür für das, was dieser Planet einmal gewesen war? Ahnten sie, dass sie dort unten auf dem vermoderten Fundament einer noch älteren Festung gebaut hätten?
    Als die Sensorenbienen in der Atmosphäre niedergingen, gaben sie genug Daten weiter, dass Drache die vagen Umrisse all dessen erkennen konnte. Während die Bienen teilweise auf dem Planetenboden eintrafen und mit dem Einsaugen und der Analyse genetischen Materials