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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Das ist der Grund für die Quarantäne.«
    Sie brauchten eine Viertelstunde, um die Stelle zu erreichen, wo der Kapuzler Tombs auseinandergenommen, aber lebend zurückgelassen hatte. Alle verbliebenen Fetzen dieses Mannes waren eingesammelt und in Probenfläschchen verstaut worden, aber Blutflecken waren nach wie vor im flach gedrückten Gras zu sehen und hatten sich durch den Sauerstoffmangel der Luft blauschwarz verfärbt. Es wimmelte hier auch von Pfennigmuscheln, die aufgrund der euklidischen Formen und Muster auf ihren Schalen den Eindruck erweckten, dass hier uralte Elektronikteile verstreut worden waren. Sanders hockte sich hin und starrte auf das Blut.
    »Da ist nicht viel zu sehen«, meinte Grant.
    »Wo hast du gestanden?«
    Er deutete ins noch stehende Flötengras seitlich der Stelle. Die langen Halme waren durch die Seitentriebe zu einer fast undurchdringlichen Masse verflochten worden; später würden die Seitentriebe abfallen und Löcher in den hohlen Halmen zurücklassen. Aus diesen Löchern drang im weiteren Jahresverlauf eindringliche Musik, wann immer Wind wehte, und man hatte die Pflanze danach auch benannt.
    Sanders drehte sich um und sah ihn an. »Du hast also alles gesehen?«
    »Ja.«
    »Du bist dir in allen Punkten sicher?«
    Grant nickte und schilderte erneut den Ablauf der Ereignisse. Tombs war schreiend dahingerannt und hatte an seinem Verstärker gezerrt, hatte sich gegen das gewehrt, was immer seinen Verstand zu kapern versuchte. Die übrigen vier Proktoren wurden innerhalb eines Augenblicks übernommen. Grant hatte gezögert, als er sie in der Zielerfassung hatte, denn er wusste überhaupt nicht, was hier geschah. Sie stolperten herum wie Leute, die gerade Nervengas eingeatmet hatten, und zwei von ihnen stürzten. Dann wurden die beiden reglos, die noch auf den Beinen standen, und die beiden Gestürzten standen wieder auf. Ihre Gesichter wirkten idiotisch. Einer schien einen Schlaganfall erlitten zu haben, denn eine Gesichtshälfte hing durch. Trotzdem bückten sich alle, um die Waffen aufzuheben, die sie fallen gelassen hatten. In diesem Augenblick eröffnete Grant das Feuer. Die Schienengewehrkugeln durchschlugen ihre Körper, sodass sie wie ein blutiges Ballett herumruckten, bis sie schließlich stürzten. Dann setzte er Tombs nach.
    Grant deutete auf eine Halbinsel aus Flötengras, die sie gerade umgingen.
    »Ich bin an dieser Seite herumgelaufen, habe Tombs’ Spur verfolgt, bis ich beinahe über das Mistvieh stolperte, ehe ich verstand, was ich da sah. Den Techniker, hier.« Er deutete seitwärts auf niedergetrampeltes Flötengras. »Ich dachte, das wäre es für mich – ich würde sterben.«
    Der Anblick brachte ihn ruckartig zum Stehen. Der Techniker war einer der größten Kapuzler und maß vom Kopf bis zum Schwanz über hundert Meter. Er hatte hier eingerollt gelegen wie das Rückgrat eines schon lange toten Riesen, nur dass seine Beine zwischen den Wirbeln hervor in die Wurzelstockschicht hinabstießen. Auf diesem Rückgrat saß ein gepanzerter löffelförmiger Kopf und hielt gerade etwas am Boden fest, etwas, das in nackter Qual brüllte. Dann stieg der Kopf empor, bis zu zehn Meter hochund klar vom Licht umrahmt. An der Unterseite erblickte Grant die Nahbereichsaugen – zwei Reihen davon, die in einem seltsamen inneren Licht von seltsam gelber Färbung leuchteten. Und überall rings um diese Augen herrschte das glasige Klicken und Wiehern der Fresssensen und -bohrer. Zu dem Zeitpunkt hielt Grant sich den Lauf des eigenen Schienengewehrs unters Kinn und wich allmählich zurück.
    »Bist du sicher, dass es der Techniker war?«
    »Sind das die Fragen, die man dich angewiesen hat zu stellen?«, knirschte er.
    »Das sind sie – wir müssen sichergehen.«
    »Ich bin sicher – es sei denn, du kennst sonst noch Albinokapuzler, die sich hier draußen herumtreiben?«
    »Okay.«
    Niemand kam einem Kapuzler so nahe und überlebte, und dieses Ding, das sich vor dem Kapuzler auf dem Boden wand und einst ein menschliches Wesen war, sah nicht danach aus, als bliebe es noch lange am Leben. Grant hatte das Gefühl, dass sich das Thema erledigt hatte, sobald der Kapuzler mit dem Löffelkopf auf dieses Ding einschlug, und er plante, sich zu diesem Zeitpunkt selbst das Hirn wegzupusten – denn er wollte auf keinen Fall zum Gegenstand des langwierigen und qualvollen Fressverfahrens der Kreatur werden. Der Techniker betrachtete ihn jedoch nur für eine Zeitspanne, die sich der Ewigkeit

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