Die Verlockung des Glücks (German Edition)
ganz bestimmten Tonfall um etwas bittet, dann weiß er ganz genau, dass ich immer noch nicht ‚nein‘ sagen kann.
„Lukas …“, ich betrachte die Fingernägel meiner rechten Hand, die eine Maniküre fast noch nötiger hätten, als die meiner linken. Dann atme ich einmal tief ein und wieder aus. „Kommst du mich abholen, oder treffen wir uns dort?“
„ Hah!“ In seiner Stimme schwingt Triumph mit. „Na bitte, so schwer ist das doch gar nicht! Ich hole dich in zwei Stunden ab. Und zieh Dir was Hübsches an! Ich will mich schließlich nicht mit dir schämen müssen.“
„Blödmann!“, sage ich, aber ich m uss dabei lachen. „Bis später!“ Ich lege auf und beginne umgehend damit, mich halbwegs ausgehtauglich zu machen. Wer will schließlich schon, dass sich sein kleiner Bruder seinetwegen schämt?
Zwei Stunden und zwanzig Minuten später ist es 19:30 Uhr und ich sitze seit einer halben Stunde, perfekt gestylt und mit frisch lackierten Nägeln, in meinem Wohnzimmer und beschäftige mich mit Warten. Natürlich ist es absolut nichts Neues, dass sich Lukas ständig verspätet. Wenn er sich denn dann überhaupt dazu hinreißen lässt, zu einem vereinbarten Termin zu erscheinen. Trotzdem ärgert es mich immer wieder. Ich selbst bin chronisch pünktlich. Ich hasse es, unpünktlich zu sein. Aber im Gegensatz zu mir nimmt mein Bruder das Leben nicht so ernst. Und das schließt - zu meinem großen Ärger - auch die Einhaltung von Terminen mit ein.
Irgendwann fange ic h an nervös auf und abzugehen, als mein Handy mir signalisiert, dass eine SMS eingegangen ist.
Sorry, aber mir ist was
W ichtiges dazwischen
gekommen.
Weiß noch nicht, ob
i ch es heute noch schaffe.
Nicht böse sein.
Lukas
Ich bin nicht böse, ich bin stinksauer; ich muss es ehrlich zugeben. Und ich möchte mal wetten, dass nicht ihm etwas dazwischen gekommen ist, sondern dass er es ist, der gerade irgendwo dazwischen ist und kommt , und zwar höchstwahrscheinlich zwischen einem Paar allzu williger Frauenschenkel. Und ich dämliche Kuh sitze - perfekt gestylt - allein zu Hause. Ich kann mir kaum etwas vorstellen, das mich heute noch mehr frustrieren könnte.
Kapitel 3
Da man die Hoffnung ja bekanntlich nie aufgeben soll, behalte ich mein grasgrünes Neckholderkleid, das das Grün meiner Augen betont und meine hochhackigen Pantoletten noch an, als ich in meine Küche stöckele und deprimiert den Gefrierschrank öffne. Vielleicht kommt mein Bruder ja schnell und lässt sich anschließend doch noch hier blicken.
I ch beschließe, dass das Einzige das den heutigen Abend noch retten kann, eine große Portion Alkohol ist. Und zwar eingebettet in irgendetwas, das den Geschmack des Alkohols überdeckt und am besten auch noch eiskalt ist.
Ich öffne den Gefrierschrank und nehme das Vanilleeis heraus, dann den Wodka und anschließend suche ich nach Orangensaft in meinem Kühlschrank. Nachdem ich fündig geworden bin, öffne ich meinen Mixer und fülle ihn zur Hälfte mit Vanilleeis. Dann kippe ich kurz entschlossen eine halbe Flasche Wodka dazu und fülle alles mit Orangensaft auf. Das laute Summen des Mixers erfüllt meine Küche und mir fällt ein, dass ich keine Eiswürfel mehr habe.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es erst 20:00 Uhr ist und der Abend somit noch nicht zu weit fortgeschritten ist, um meine Nachbarn deswegen zu belästigen. Also schnappe ich mir meinen Haustürschlüssel und klappere mit meinen hohen Hacken über das Pflaster des Gehweges, um bei Tante Betty zu klingeln, die im Haus nebenan lebt. Betty ist eigentlich nicht unsere richtige Tante, aber sie war eine Art Freundin unserer Mutter. Betty hat lange in den USA gelebt, bevor sie zurück nach Deutschland gekommen ist, was ihr und meiner Mutter, die in den USA geboren und aufgewachsen und im Herzen immer Amerikanerin geblieben ist, eine gemeinsame Basis gegeben hat. Für meinen Bruder und mich ist Betty eine Art Großmutterersatz gewesen. Als Kinder haben wir eine Menge Zeit bei ihr verbracht. Sie hat für uns Kekse gebacken, mit uns Hausaufgaben gemacht und stillschweigend einen Teil der Aufgaben übernommen, die eigentlich unsere Mutter hätte erledigen sollen.
Ich erreiche ihr Haus nach nur wenigen Schritten und drücke auf die Klingel. Nach einem kurzen Augenblick höre ich Schritte hinter der Tür, die mich in der Art ihres Klanges irgendwie irritieren und als Sekunden später die Tür aufgeht, schaue ich völlig verwundert auf
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