Die verlorene Bibliothek: Thriller
Sie von diesem Moment an nicht mehr für das amerikanische Volk.«
SONNTAG
KAPITEL EINHUNDERTVIER
Z WISCHEN A LEXANDRIA UND O XFORD – 12:30 GMT
In den Stunden, die seit Athanasius’ Tod vergangen waren, hatte Emily rasch gehandelt. Nachdem sie die DVD, also Antouns letztes ›Päckchen‹, eingesteckt hatte, hatte sie das Büro schnell aber gründlich nach Dokumenten oder anderen Gegenständen durchsucht, die eine Verbindung zur Bibliothek haben könnten. Sie fand keine. Athanasius war sehr penibel gewesen, was die Geheimhaltung betraf. Dann hatte Emily jede Oberfläche abgewischt, die sie berührt hatte. Sie durfte keine Spuren hinterlassen. Und sie musste schnell sein, denn man durfte sie in keinem Fall am Tatort eines Mordes erwischen. Zu guter Letzt hatte sie sich dann, so gut es die Umstände zuließen, von dem Mann verabschiedet, der sein Leben der Bewahrung der Bibliothek geopfert hatte. Vorsichtig hatte sie den Mann auf den Boden gelegt und ihm die Arme auf der Brust gefaltet. Sie wusste nicht, welcher Religion Athanasius angehörte, aber auf seinem Tisch stand ein koptisches Kreuz. Emily schloss die Augen und sprach ein kurzes Gebet für die Seele des Mannes. Dann hatte sie das Büro endgültig verlassen. Die Tür hatte sie einen Spalt offen gelassen, damit die Leiche so schnell wie möglich gefunden wurde.
Nun saß sie wieder an Bord eines Nachtflugs der Turkish Airlines und flog über das Mittelmeer zurück nach England. Seit sie die Bibliotheca Alexandrina verlassen hatte, hatte sie sich vor allem auf zweierlei konzentriert: außer Sicht zu bleiben und sich darauf vorzubereiten, was sie nach ihrer Landung erwartete. Um Ersteres zu erreichen, hatte sie zunächst ein Taxi von der Corniche in das Marktviertel nahe dem Borg al Arab genommen. Dort hatte sie sich dann einen Geldautomaten gesucht und alles Geld abgehoben, was die Bank ihr zugestand. Dann war sie in die Bank selbst gegangen und hatte das Geld gegen Britische Pfund umgetauscht, mit ihrer Kreditkarte das Äquivalent zu noch einmal zweihundert Pfund eingetauscht und sechshundert türkische Lira abgehoben. Das war das letzte Mal gewesen, dass sie ihre Karten eingesetzt hatte. Das Ticket nach England würde sie bar bezahlen, und sie würde mit dem Kauf bis unmittelbar vor dem Start warten. Der Rat war mit Sicherheit noch immer in der Lage, jeden ihrer Schritte zu verfolgen, doch Emily wollte ihnen so wenig Zeit wie möglich geben, sich auf ihre Bewegungen vorzubereiten.
In Gedanken war sie schon bei dem, was vor ihr lag. In England, in Oxford, würde sie mehr Ressourcen zur Verfügung haben als in Ägypten. Sie wusste, dass die Bibliothek nicht dort war – auch das war wieder nur ein Täuschungsmanöver des Bewahrers gewesen. Tatsächlich wusste sie nun, dass die Bibliothek vermutlich an überhaupt keinen Ort gebunden war. Immer wieder war in den letzten Tagen ihr historisches Verständnis auf den Kopf gestellt worden. Erst hatte sie erfahren, dass die Bibliothek von Alexandria gefunden worden war, dann, dass sie nie verloren gewesen war, und schließlich, dass sie sich im Laufe der Geschichte immer weiterentwickelt hatte, bis sie nur noch auf Datenträgern und in Netzwerken existierte.
Kurz vor dem Start war Emily noch in ein Internetcafé gegangen und hatte sich an ein möglichst abgeschiedenes Terminal gesetzt. Dort hatte sie dann Athanasius’ DVD ins Laufwerk geschoben, um einen ersten Eindruck davon zu bekommen, was die Bibliothek wirklich war. Wie sich jedoch herausstellte, war der Großteil der DVD verschlüsselt, eine Tatsache, die Emily eigentlich nicht hätte überraschen sollen. Doch in einem der zugänglichen Ordner befand sich eine Datei mit dem schlichten Namen: ›For–Emily.txt‹. Athanasius hatte gewusst, dass Emily dieses bestimmte Päckchen einsammeln würde, und er hatte ihr weitere Informationen hinterlassen, wofür er in ihren kurzen Gesprächen keine Zeit gehabt hatte. Hatte er diese Datei erst ganz zum Schluss eingefügt, nach dem Überfall, als er allein in seinem Büro gekauert hatte und langsam verblutet war? Bei der Vorstellung schnürte es Emily den Hals zu.
Die Datei enthielt eine ausführlichere Version der Erzählung, die Athanasius auf dem Boden seines Büros begonnen hatte. Aufgeregt las Emily:
» Die Digitalisierung der Bibliothek wurde bereits Ende der Fünfziger Jahre eingeleitet, als das in ihr enthaltene Wissen über Computertechnologie einen solchen Schritt möglich machte. Ursprünglich sollte
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