Die verlorene Bibliothek: Thriller
diesem Gebäude, ja sogar aus meinem Büro. Aber wie, das weiß ich schlicht und ergreifend nicht. Und genau das müssen Sie jetzt herausfinden, Dr. Wess: den Weg hinein.«
Als Emily die Datei geschlossen und die DVD wieder aus dem Laufwerk genommen hatte, war ihr bewusst geworden, dass in den letzten vier Tagen zwei große Männer ihre letzten Worte ausgerechnet an sie gerichtet hatten, und nun war sie an den letzten Wunsch dieser Männer gebunden. Sie war Teil von etwas Großem und Edlem geworden, und das hatte sie deutlich gespürt.
Nun lehnte Emily sich auf ihrem Sitz im Flugzeug zurück und blickte aus dem Fenster und auf die Hügel und Berge Westeuropas, die in der Dunkelheit des frühen Morgens unter ihr vorbeizogen. ›Der Weg hinein.‹ Das klang so einfach. In Wirklichkeit war es jedoch ein Rätsel, von dem Emily wusste, dass es keineswegs leicht zu lösen war. Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger überraschten sie die letzten Enthüllungen. Warum sollte es sie auch überraschen, dass man die Bibliothek den Bedürfnissen der modernen Zeit angepasst hatte? Schließlich war die ursprüngliche Bibliothek bei ihrer Gründung ja auch das Modernste gewesen, was die Menschen sich damals hatten vorstellen können. Niemals hatte jemand auch nur versucht, so viel Wissen an einem einzigen Ort zu sammeln. Niemals zuvor waren so viele Gelehrte in der ganzen bekannten Welt miteinander vernetzt worden, um eine Datenbank des gesamten menschlichen Wissens zu schaffen. War es da überraschend, dass diese Bibliothek im Laufe der Jahrhunderte zu immer neuen Mitteln gegriffen hatte, um ihr Ziel voranzutreiben? Dass sie stets an der Spitze der Entwicklung gewesen war?
Nach und nach kehrte Emilys Selbstbewusstsein wieder zurück. Sie war dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen, und sie wusste jetzt, was sie wirklich suchte. Das Versteckspiel war vorbei. Arno Holmstrand hatte ein beeindruckendes Theaterstück inszeniert, um sie über vier Tage hinweg zu dieser Erkenntnis zu führen, und Emily war überzeugt davon, dass sie auch noch die letzte Information bekommen würde, die sie benötigte. Die Liste von Arnos Hinweisen war lang.
Liste … Das Wort rief Emily den einen Punkt ins Gedächtnis zurück, der nicht so ganz zu allem anderen passen wollte: die Namensliste – Namen in zwei Gruppen, übermittelt als zwei SMS. Antoun hatte Emily offenbart, dass diese Namen Teil der Verschwörung des Rates waren, die Macht in Amerika zu übernehmen, und sie hatte in den vergangenen drei Tagen genug Nachrichten gehört, um mitzubekommen, dass die amerikanische Regierung kurz vor dem Zusammenbruch stand. Was auch immer das für eine Verschwörung war, offenbar war sie erfolgreich.
Diese beiden Listen. Plötzlich erinnerte Emily sich an etwas, das ihr Angreifer in Istanbul gesagt hatte. Als der Mann ihr das Blackberry abgenommen hatte, hatte er es an seinen Partner mit den Worten weitergegeben: ›Sie hat sie aufgeteilt auf zwei SMS bekommen. Die zweite ist der Schlüssel. Darin stehen die Namen unserer Männer.‹
Das war’s: unsere Männer. Von Athanasius wusste Emily bereits, dass es sich bei den Namen der ersten Gruppe um Personen handelte, die im Rahmen der Verschwörung gegen den Präsidenten ermordet worden waren. Die zweite, so hatte sie angenommen, waren diejenigen, die der Rat befördern wollte, und die er leicht manipulieren konnte. ›Die Namen unserer Männer.‹ Die zweite Liste enthielt nicht die Namen von Leuten, die der Rat beeinflussen und manipulieren konnte. Es war eine Liste von Mitgliedern des Rates selbst, die nach dem Sturz des Präsidenten in neue Machtpositionen gebracht werden sollten.
Emily lief ein Schauder über den Rücken. Wenn sie recht hatte … Sie konnte sich kaum vorstellen, wie weit die Macht des Rates ging, denn sie kannte die Namen auf der zweiten Liste nur allzu gut. Jeder Amerikaner kannte diese Namen. Sie waren auf der ganzen Welt bekannt. Der Plan des Rates war erschreckend und genial zugleich. Wie Athanasius vorausgesagt hatte, versuchten sie an der Spitze der Vereinigten Staaten ein Machtvakuum zu schaffen; aber sie wollten dieses Vakuum nicht mit Männern füllen, von denen sie hofften, sie beeinflussen zu können. Ihre Männer waren schon in Bereitschaft; sie mussten ihre neuen Ämter nur noch übernehmen. Und der Vizepräsident war nur der Anfang. Wenn der Rat etwas machte, dann gründlich.
Diese Leute mussten aufgehalten werden. Der Rat durfte nicht gewinnen.
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