Die Verlorene Ehre der Katerina Blum
beschriebenen Gewalttätigkeiten erkennen dürfen, dass die Kunst doch noch eine soziale Funktion hat.
57.
Es ist natürlich äußerst bedauerlich, dass hier zum Ende hin so wenig Harmonie mitgeteilt und nur sehr geringe Hoffnung auf solche gemacht werden kann. Nicht Integration, Konfrontation hat sich ergeben. Man muss sich natürlich die Frage erlauben dürfen, wieso oder warum eigentlich? Da ist eine junge Frau gut gelaunt, fast fröhlich zu einem harmlosen Tanzvergnügen gegangen, vier Tage später wird sie da hier nicht ge-, sondern nur berichtet werden soll, soll es bei der Mitteilung von Fakten bleiben – zur Mörderin, eigentlich, wenn man genau hinsieht, auf Grund von Zeitungsberichten. Es kommt zu Gereiztheiten und Spannungen, schließlich Handgreiflichkeiten zwischen zwei sehr sehr lange befreundeten Männern. Spitze Bemerkungen von deren Frauen. Abgewiesenes Mitleid, ja abgewiesene Liebe. Höchst unerfreuliche Entwicklungen. Ein fröhlicher, weltoffener Mensch, der das Leben, das Reisen, Luxus liebt – vernachlässigt sich so sehr, dass er Körpergeruch ausströmt! Sogar Mundgeruch ist bei ihm festgestellt worden. Er bietet seine Villa zum Verkauf an. er geht zum Pfandleiher. Seine Frau sieht sich “nach etwas anderem um”, da sie sicher ist, in der zweiten Instanz zu verlieren; sie ist sogar bereit, diese begabte Frau ist bereit, wieder als bessere Verkäuferin mit dem Titel “Beraterin für Innenarchitektur” zu einer großen Möbelfirma zu gehen, aber dort lässt man sie wissen, “dass die Kreise, an die wir üblicherweise verkaufen, genau die Kreise sind, gnädige Frau, mit denen Sie sich überworfen haben”. Kurz gesagt: es sieht nicht gut aus. Staatsanwalt Hach hat Freunden bereits im Vertrauen zugeflüstert, was er Blorna selbst noch nicht zu sagen gewagt hat: dass man ihn als Verteidiger möglicherweise wegen erheblicher Befangenheit ablehnen wird. Was soll daraus werden, wie soll das enden? Was wird aus Blorna, wenn er nicht mehr die Möglichkeit hat, Katharina zu besuchen und mit ihr – man sollte es jetzt nicht länger verschweigen! – Händchen zu halten. Kein Zweifel: er liebt sie, sie ihn nicht, und er hat nicht die geringste Hoffnung, denn alles, alles gehört doch ihrem “lieben Ludwig”! Und es muss hinzugefügt werden, dass “Händchen-Halten” hier eine vollkommen einseitige Sache ist, dass er, wenn Katharina Akten oder Notizen oder Aktennotizen hinüberreicht, seine Hände auf ihre legt, länger, vielleicht drei, vier, höchstens fünf zehntel Sekunden länger als üblich wäre. Verflucht, wie soll man hier Harmonie herstellen, und nicht einmal seine heftige Zuneigung zu Katharina veranlasst ihn, sich – nun sagen wir einmal – ein bisschen häufiger zu waschen. Nicht einmal die Tatsache, dass er, er allein die Herkunft der Tatwaffe herausgefunden hat – was Beizmenge, Moeding und ihren Helfern nicht gelang -, tröstete ihn. Nun ist “herausgefunden” vielleicht zuviel gesagt, es handelt sich um ein freiwilliges Geständnis von Konrad Beiters, der bei dieser Gelegenheit zugab, er sei ein alter Nazi, und dieser Tatsache allein verdanke er es wahrscheinlich, dass man bisher auf ihn nicht aufmerksam geworden sei. Nun, er sei politischer Leiter in Kuir gewesen und habe seinerzeit etwas für Frau Woltersheims Mutter tun können, und, nun, die Pistole sei eine alte Dienstpistole” die er versteckt, aber dummerweise Else und Katharina gelegentlich gezeigt habe; man sei sogar einmal zu dreien in den Wald gefahren und habe dort Schießübungen veranstaltet; Katharina habe sich als sehr gute Schützin erwiesen und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass sie schon als junges Mädchen beim Schützenverein gekellnert habe und gelegentlich mal habe ballern dürfen. Nun, am Samstagabend habe Katharina ihn um seinen Wohnungsschlüssel gebeten mit der Begründung, er müsse doch verstehen, sie wolle einmal allein sein, ihre eigene Wohnung sei für sie tot. tot … sie sei aber am Samstag doch bei Else geblieben und müsse sich die Pistole am Sonntag aus seiner Wohnung geholt haben, und zwar, als sie nach dem Frühstück und nach der Lektüre der SONNTAGS-ZEITUNG als Beduinenfrau verkleidet in diese Journalistenbumsbude gefahren sei.
58.
Letzten Endes bleibt da doch noch etwas halbwegs Erfreuliches mitzuteilen: Katharina erzählte Blorna den Tathergang, erzählte ihm auch, wie sie die sieben oder sechseinhalb Stunden zwischen dem Mord und ihrem Eintreffen bei Moeding verbracht hatte.
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