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Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die verlorene Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Martin
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sich und schlich weiter. Wolfgangs Angst beflügelte ihn geradezu. Immer besser gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht. Der Flur war teilweise mit dunklem Holz getäfelt. Neben der Haustür, am anderen Ende, stand ein kleines Tischchen mit schmalen gebogenen Beinen, daneben ein Paar alte, schwarze Gummistiefel. Ein grauer Kittel hing an einem Haken an der Wand. Der Boden war schwarz und weiß gekachelt, jedoch ziemlich schmutzig. Die Musik und die Stimmen drangen hinter der Tür hervor, die der Haustür am nächsten war. Bernd zögerte, bevor er behutsam die letzten Schritte tat, und versuchte, durch den Türspalt zu spähen.
    Die Küche, wie er schon vermutet hatte. Auf dem großen Herd stand ein Wasserkessel. Er konnte Wasser kochen hören. Dann wieder Stimmen und nach einer Weile Musik. Es rauschte und knackte. Ein Radio.
    Bernd spähte weiter durch den Spalt. Von seinem Platz an der Tür aus konnte er einen Küchentisch ausmachen, auf dem ein buntes Sammelsurium an Tassen und Tellern stand. Der Alte war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich befand er sich auf der anderen Seite der Tür. Wie von selbst schob sich Bernds rechte Hand in die Hosentasche. Für einen Moment berührten seine Finger das Messer.
    Schade, dass der Alte nicht zu sehen ist, dachte er. Aber gut, jetzt musste er zumindest noch irgendeinen Beweis dafür mitnehmen, dass er hier gewesen war.
    Noch einmal sah er sich im Flur um. Außer dem Tisch war kein weiteres Möbelstück zu sehen. Etwa auf der Mitte des Flurs führte eine enge Stiege ins obere Stockwerk. Schräg gegenüber der einmal weiß gestrichenen Küchentür, von der allerdings längst die Farbe abblätterte, führte eine dunkle Holztür in ein weiteres Zimmer. Bernd musterte die Wände. Mehr Bilder hingen dort, als er es von daheim gewohnt war: alte Fotos und gemalte Porträts mit Männern und Frauen darauf, die ihn mehr oder weniger ernst anblickten. Etwas tiefer, sodass er es berühren konnte, befand sich das Foto einer jungen Frau mit langen Zöpfen. Bernd streckte die Finger danach aus, zögerte dann aber. Er warf einen Blick auf die rückwärtige Tür, wo Wolfgang wartete, dann schaute er wieder das Bild an.
    Lächelte die Frau? Man konnte es nicht sagen. Er kniff die Augen zusammen, schaute dann auf die kleine Puppe, die die junge Frau in der Hand hielt. Eine Lumpenpuppe war das, mit Knöpfen anstelle von Augen, die sich seltsam einfach gegen das hochgeschlossene, dunkle Kleid der Frau ausnahm. Bernd interessierte sich zwar nicht für Kleidung, aber ein einfaches Kleid konnte er schon von einem Sonntagskleid unterscheiden. Das hier war ein Sonn tagskleid.
    Wieder warf er einen Blick in Wolfgangs Richtung. Jetzt konnte er ihn durch den Türspalt sehen. Bernd streckte die Hand erneut zu dem Bild hin, da war plötzlich eine scharfe Stimme zu hören.
    »He, Bursche, was machst du da?«
    Bernd fuhr zusammen. Über ihm am Treppenende war die hagere Gestalt eines sehr alten Mannes aufgetaucht.
    Vor Schreck riss Bernd das Bild von der Wand, packte es im nächsten Moment, bevor er noch wusste, was er tat, und begann zu laufen. Er hörte die schweren Schritte des Mannes auf der Treppe. Bernds Mund und seine Kehle waren mit einem Mal staubtrocken. Der Alte sieht aus wie ein Skelett, fuhr es ihm durch den Kopf, und er hat schlohweißes Haar, und seine Augen funkeln.
    »Lauf, Wolfgang, lauf, weg hier!«, krächzte er.
    Weil die Treppe zwischen ihm und dem Hinterausgang lag und der Alte beachtlich schnell war, warf Bernd sich herum und rannte auf die Haustür zu.
    Bitte, lass sie offen sein, bitte, bitte, lass sie offen sein.
    Er drückte die Klinke. Verschlossen, aber der Schlüssel steckte, immerhin.
    Lieber Gott, ich danke dir …
    Bernds Finger zitterten, während er den Schlüssel knir schend im Schloss drehte. Der Alte hatte die letzte Treppenstufe erreicht.
    »Hiergeblieben, du kleiner Dieb!«
    Bernd sah zurück. Der Alte kam … Er kam näher … Er humpelte, aber er war doch viel zu schnell, viel schnel ler, als Bernd erwartet hatte … Viel schneller … Bernd riss die Tür auf, wäre draußen fast die wenigen Stufen hinuntergestürzt.
    Wohin jetzt, wohin nur? Linker Hand war ein alter Stall. Vielleicht konnte er sich dort verstecken. Hatte Rüdiger nicht gesagt, dass der Stall voller Gerümpel war? Bernd nahm alle Kraft zusammen und raste weiter, durch die geöffnete Stalltür hindurch, hinter der er abrupt zum Ste hen kam. Zwischen Dämmerlicht und einem grellen Strei fen

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