Die Verlorene Kolonie
Einsatz, aber du weißt ja, dass alles, was du erlebt hast, unter uns bleiben muss. Du darfst es nicht mal deinen Eltern erzählen, Artemis. Du wirst dir für sie eine Geschichte ausdenken müssen.«
»Natürlich«, sagte Artemis.
»Gut. Ich weiß, ich hätte es gar nicht zu erwähnen brauchen. Der Mann, der dich erwartet, wohnt in dem kleinen Haus mit den Blumenkästen vor den Fenstern. Grüß ihn von mir.«
Artemis nickte wie betäubt. »Mache ich.«
Der Pilot ging tiefer und landete das Shuttle hinter einem verlassenen, halb verfallenen Steinhaus. Als er sich überzeugt hatte, dass niemand in der Nähe war, drückte er auf einen Schalter, und über der Hecktür leuchtete ein grünes Lämpchen auf.
Holly half Artemis aus dem Sitz. »Nie haben wir Zeit für einen gemütlichen Plausch«, sagte sie.
Artemis musste lächeln. »Stimmt. Irgendwas ist immer.«
»Wenn's kein Kobold-Aufstand ist, sind es zeitreisende Dämonen.« Holly küsste ihn auf die Wange. »Das war vermutlich gefährlich. Wo du doch jetzt ein pubertierender Vulkan bist.« Holly deutete auf ihr neues blaues Auge. »Von nun an werden wir immer ein Teil des anderen sein.«
Artemis zwinkerte ihr zu. »Ich werde ein Auge auf dich halten.«
»War das etwa ein Scherz? Meine Güte, du hast dich verändert.«
Artemis war noch ein wenig benommen. »Na ja, wie es scheint, bin ich jetzt fast achtzehn. Ade Pubertät. Willkommen Erwachsensein.«
»Heilige Götter, Artemis Fowl darf wählen.«
Artemis schmunzelte. »Ich wähle schon seit Jahren.« Er deutete auf sein Handtelefon. »Ich melde mich.«
»Ich schätze, wir werden einiges zu besprechen haben.«
Sie umarmten sich kurz, aber herzlich, dann verließ Artemis das Shuttle. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal um, doch da war nichts außer Himmel und Meer.
* * *
Artemis Fowl bot einen seltsamen Anblick in der morgendlichen Stille von Duncade. Ein Teenager in einem zerrissenen Anzug, der über eine Viehmauer kletterte und, eine Aschespur hinter sich lassend, den Kai entlangwankte.
Vor ihm standen ein paar Männer an einen Poller gelehnt. Ein Fischer mit zerzaustem Bart erzählte gerade eine wilde Geschichte von einer sechs Meter hohen Welle, die sich in der Nacht am Horizont erhoben hatte und die einfach verschwunden war, bevor sie das Ufer erreichte. Er erzählte seine Geschichte gut, mit weit ausholenden Gesten und geräuschvoller Untermalung. Die anderen Männer nickten ihm zu, doch wenn er nicht hinsah, zwinkerten sie sich zu und taten, als wenn sie ein Whiskyglas zum Mund hoben.
Artemis beachtete sie nicht weiter, sondern ging den Kai entlang zu dem kleinen Haus mit den Blumenkästen vor den Fenstern.
Blumenkästen? Wer hätte das gedacht.
An der Tür befand sich eine Zahlentastatur - in dieser ländlichen Umgebung wirkte sie ziemlich fehl am Platz, aber Artemis hatte nichts anderes erwartet. Er gab sein Geburtsdatum ein, null eins null neun, und deaktivierte damit das Schloss und die Alarmanlage.
Drinnen war es dunkel. Die Vorhänge waren zugezogen, und es brannte kein Licht. Artemis betrat ein spartanisch eingerichtetes Wohnzimmer mit einer funktionalen Kochecke, einem Stuhl und einem massiven Holztisch. Es gab keinen Fernseher, aber an den Wänden waren grob gezimmerte Regale angebracht, auf denen Hunderte von Büchern über alle möglichen Themen standen. Nachdem seine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, konnte er ein paar der Titel erkennen, unter anderem Gormenghast, Die Kunst des Krieges und Vom Winde verweht.
»Sie stecken voller Überraschungen, alter Freund«, murmelte Artemis und griff nach einer Ausgabe von Moby Dick.
Als er über den geprägten Buchrücken strich, erschien ein kleiner roter Punkt auf seiner Fingerspitze.
»Weißt du, was das ist?«, sagte eine grollende Stimme hinter ihm. Wenn Donner sprechen könnte, dann wäre dies seine Stimme.
Artemis nickte. Jetzt war kein guter Moment für Freudenrufe oder abrupte Bewegungen.
»Gut. Dann weißt du ja auch, was passiert, wenn du etwas tust, das mich ärgert.«
Wieder ein Nicken.
»Ausgezeichnet. Und jetzt verschränk die Hände hinter dem Kopf und dreh dich um.«
Artemis tat, wie ihm befohlen. Er stand einem riesigen Mann mit grau meliertem Vollbart und langem, zu einem Zopf zusammengebundenem Haar mit grauen Strähnen gegenüber. Das Gesicht des Mannes war vertraut, aber auch verändert. Mehr Falten um die Augen, und eine tiefe Furche über der Nasenwurzel.
»Butler?«, sagte
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