Die verlorene Tochter (Romantik Thriller /Unheimlich) (German Edition)
sechstenmal umgezogen worden war, zeigte sie noch dieselbe Begeisterung wie bei ihrem ersten Auftritt. Zweimal blieb sie in der Mitte des Laufstegs stehen und warf Kußhändchen, was die Zuschauer besonders begeisterte.
Sharons Blick glitt immer wieder zu Vincent Lord Winslow. Die vorgeführten Modelle interessierten ihn nicht. Er wirkte mehr als gelangweilt. Nur wenn Julie auf den Laufsteg trat, wurde er aufmerksam, ließ sie nicht eine Sekunde aus den Augen. Julie war ein ausgesprochen hübsches Kind. Es kam öfters vor, daß fremde Menschen auf der Straße stehenblieben, um ihr nachzuschauen, aber so viel unverhüllte Aufmerksamkeit war ihrer Tochter noch niemals geschenkt worden. Die junge Frau war sich nicht sicher, ob sie sich darüber freuen sollte.
Kurz vor Ende der Modenschau kehrte Sharon in den Umkleideraum zurück. Die Mannequins und Julie waren ein letztes Mal nach draußen getreten. Der Beifall, der ihnen gezollt wurde, hallte von den Wänden wider.
"Mommy! Mommy!" In einem weißen mit Spitzen besetzten Kleid stürzte sich Julie in ihre Arme. "Habe ich alles richtig g emacht, Mommy?" fragte sie und sah mit strahlenden Augen zu ihr auf.
"Ja, du hast alles richtig gemacht, Lovely", versicherte ihr die junge Frau und drückte sie zärtlich an sich. Sie dachte an Peter, ihrem verstorbenen Mann, und daran, daß es ihm nicht vergönnt gewesen war, seine Tochter aufwachsen zu sehen. Wie glücklich wäre er gewesen, wenn er noch erlebt hätte, daß Julie seiner Mu tter von Tag zu Tag ähnlicher wurde.
"Kann ich dieses Kleid nicht anbehalten?" fragte Julie. "Nur bis heute abend, nur bis zum Schlafengehen."
"Nein, das geht nicht", erwiderte Sharon. Sanft drehte sie ihr Töchterchen herum und öffnete den Reißverschluß des Kleides.
"Schade!" Mit einem tiefen Seufzer ließ Julie es geschehen, daß ihr das Kleid ausgezogen wurde. Sie griff nach ihren Jeans und schlüpfte hinein. "Das hat Spaß gemacht, Mommy. Darf ich beim nächsten Mal wieder mitmachen?"
"Mal sehen", erwiderte ihre Mutter ausweichend. Sie half ihrem Töchterchen, die Bluse zuzuknöpfen. "Jetzt schauen wir erst einmal, wo Onkel Edward ist."
"Habe ich ihm auch gefallen?"
"Das wird er dir schon selber sagen." Sharon nahm Julie bei der Hand und machte sich mit ihr auf den Weg zum Zuschauerraum.
Vincent Lord Winslow stand mit Jessica Price und Edward Brown bei der kleinen Bar, die im Hintergrund der Halle eing erichtet worden war. Als er Sharon und Julie erblickte, ging er ihnen entgegen. "Würden Sie mich bitte der jungen Dame vorstellen, Mistreß Miles?" bat er.
Julie, die genau wußte, daß mit >junge Dame< sie gemeint war, schenkte ihm ein reizendes Lächeln.
"Julie, das ist Lord Winslow aus Cornwall. Lord Winslow, meine Tochter Julie."
"Schön, deine Bekanntschaft zu machen, Julie." Vincent ergriff die Hand des kleinen Mädchens. "Wie alt bist du denn?" fragte er.
"Fünf, aber bald werde ich sechs."
"Das dauert noch ein paar Monate", warf Sharon ein.
"Es wäre schön, wenn ich Sie und Ihre kleine Tochter einmal auf Winslow Manor begrüßen dürfte", wandte sich Lord Winslow an sie. "Ich bin überzeugt, mein Besitz würde Ihnen gefallen."
Die junge Frau war sich nicht sicher, ob er diese Einladung erst meinte, und vor allen Dingen fragte sie sich, wem sie galt. Lord Winslow schien ja ganz vernarrt in Julie zu sein.
Zusammen mit Edward Brown schlenderte Jessica Price auf sie zu. "Für uns wird es Zeit, Vincent", sagte sie und legte besitzergreifend eine Hand auf die Schulter ihres Begleiters. "Vergiß nicht, wir haben heute noch einiges vor." Sie wandte sich an Edward: "Vincent und ich sind so selten in London, daß wir natürlich jede Minute unseres Aufenthaltes ausnützen müssen."
Lord Winslow nickte. "Vergessen Sie bitte nicht, daß ich Sie nach Winslow Manor eingeladen habe, Mistreß Miles", bat er, bevor er sich von ihnen verabschiedete.
Edward Brown brachte seine Gäste zu ihrem Wagen. Als er zurückkehrte, bemerkte er: "Auf die Einladung nach Winslow Manor dürfen Sie sich etwas einbilden, Sharon. Diese Ehre widerfährt nur selten einem Sterblichen."
Seine Sekretärin nickte. "Ich hörte, daß Lord Winslow das L eben eines Einsiedlers führen soll", erwiderte sie.
"Das war nicht immer so", berichtete Edward. "Früher war Winslow Manor der Mittelpunkt rauschender Feste, doch seit dem Tod Lady Maureens und der kleinen Viola scheint fast jedes L eben in den alten Mauern erloschen zu sein."
"Er hatte eine Tochter?"
"Ja,
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