Die verlorene Tochter (Romantik Thriller /Unheimlich) (German Edition)
selbst nicht erklären kann." Sie hob die Schultern. "Nennen Sie es einen Anflug von Verfolgungswahn."
"Ich werde ein Auge auf Julie haben", versprach Mrs. Philipp.
"Danke", sagte Sharon und verabschiedete sich von ihr.
Auf dem Weg zu ihrer Arbeit warf die junge Frau immer wi eder einen Blick in den Rückspiegel. Nein, es sah nicht aus, als würde ihr jemand folgen. Trotzdem hatte sie nach wie vor den Eindruck, beobachtet zu werden. Vielleicht beginnst du wirklich unter Verfolgungswahn zu leiden, überlegte sie. Andererseits gab es keinen Grund für eine derartige Störung. Sie führte ein ziemlich ausgeglichenes Leben, sie hatte keine Sorgen, und sie hielt sich für einen glücklichen Menschen.
Im Modehaus angekommen, suchte Sharon sofort ihr Büro auf. Sie war später dran als gewöhnlich. Auf ihrem Schreibtisch türmte sich die Arbeit. An und für sich hatte sie nicht einen Augenblick Zeit, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen, dennoch trat sie ans Fenster, kaum daß sie das Teewasser aufgesetzt hatte, und blickte auf die Straße hi naus.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein schlanker Mann in einem dunklen Trenchcoat. Er hielt eine Zeitung in den Händen, aber sie war sich fast sicher, daß er das Fenster ihres B üros beobachtete. Automatisch trat sie einen halben Schritt zurück.
"Guten Morgen, Sharon."
Die junge Frau zuckte erschrocken zusammen. Sie wandte sich Edward Brown zu. "Das ging knapp an einem Herzschlag vorbei", bemerkte sie. "Guten Morgen. Ich habe Teewasser aufgestellt. Möchten Sie auch eine Tasse?"
"Gerne." Edward nickte. "Warum sind Sie so erschro cken?"
"Bitte, lachen Sie mich nicht aus, aber mir kommt es vor, als würde man mich beobachten", antwortete sie. "Der Mann auf der anderen Straßenseite, zum Beispiel..." Sie wies aus dem Fenster.
"Ich sehe keinen Mann", sagte Edward Brown hinter ihr.
"Eben war er noch da. Er hielt eine Zeitung in der Hand, aber..." Sharon lachte etwas gequält. "Wahrscheinlich halten Sie mich für verrückt." Sie ließ die Schultern hängen. "Vielleicht bin ich es auch. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist."
"Warum sollte ich Sie verrückt nennen, Sharon?" erkundigte sich ihr Chef. Er wies zum elektrischen Wasserkocher. "Unser Tee wartet."
"Natürlich." Sharon brühte den Tee auf. Erschrocken bemerkte sie, daß ihre Hand zitterte.
"Sie werden ganz einfach etwas überarbeitet sein", meinte Mr. Brown. "Wer sollte Sie verfolgen, und vor allem, warum?"
"Das sage ich mir ja auch", gab die junge Frau zu. Sie gestand ihm, daß sie an diesem Morgen sogar Julies Lehrerin gebeten ha tte, besonders gut auf ihre Tochter aufzupassen.
"Machen Sie sich darüber keine Gedanken." Der Couturier en tfernte den Teebeutel aus seiner Tasse und warf ihn in den Papierkorb. "Ihnen fehlt nur etwas Entspannung. Sie müssen zugeben, daß es während der letzten Wochen ziemlich hektisch bei uns zugegangen ist. Wir sind alle nur Menschen. Irgendwann spielen unsere Nerven verrückt. Wie wäre es am Samstag abend mit einem Theaterbesuch? Sprachen Sie nicht erst neulich davon, daß Sie sich gerne noch einmal 'Cats' ansehen würden?"
Sharon nickte. Sie hatte dieses Musical bereits einmal mit i hrem verstorbenen Mann gesehen. Es war kurz vor seinem Tod gewesen. "Meinen Sie denn, daß wir jetzt für Samstag abend noch Karten bekommen?" fragte sie.
"Ich habe so meine Beziehungen", erklärte ihr Chef. "Also, a bgemacht, wir gehen am Samstag abend ins Theater, und hinterher essen wir noch eine Kleinigkeit."
"Einverstanden", erwiderte Sharon. Sie freute sich auf den Samstag abend. Edward Brown war nicht nur ein guter Gesel lschafter, er verstand es auch, sogar einem einfachen Dinner das Flair etwas Besonderem zu geben. Es würde sicher ein netter Abend werden.
"Wundervoll." Der Couturier küßte die junge Frau blitzschnell auf die Wange, dann nahm er seine Tasse und trat durch die Ve rbindungstür in sein Arbeitszimmer.
3. Kapitel
Erfüllt von dem Geschehen auf der Bühne, kamen Sharon Miles und Edward Brown am Samstag abend aus dem Theater. In der jungen Frau klangen noch die zauberhaften Melodien des Musicals nach. Obwohl ihr durchaus bewußt war, daß sie sich in Edwards Begleitung befand, sah sie sich für einen kurzen Augenblick wieder mit ihrem verstorbenen Mann durch das Foyer gehen. Genau wie sie, hatte Peter besonders dieses Musical geliebt. Es hatte Abende gegeben, an denen er immer wieder eine Platte mit den Melodien aus 'Cats' aufgelegt
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