Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Verblüffung vor allem durch den Ausruf: »Wer hat das bestellt?«
Die leichteren Leptonen sind am leichtesten zu finden. Obwohl sowohl Elektronen als auch Photonen im elektromagnetischen Kalorimeter Energie abgeben, lässt sich das Elektron ohne weiteres von einem Photon unterscheiden, weil es geladen ist, und das Photon nicht. Nur ein Elektron hinterlässt eine Spur im inneren Detektor, bevor es seine Energie im ECAL abgibt.
Auch Myonen lassen sich relativ unkompliziert identifizieren. Wie alle anderen schwereren Teilchen des Standardmodells zerfallen Myonen so schnell, dass man sie in gewöhnlicher Materie nicht findet. Deshalb begegnen wir ihnen auf der Erde nur selten. Myonen existieren jedoch lange genug, um zu den Außenbezirken der Detektoren zu gelangen, bevor sie zerfallen. Daher hinterlassen sie stets lange, deutlich sichtbare Spuren, die die Experimentalphysiker vom inneren Detektor bis zu den äußeren Myonenkammern zusammensetzen können. Da Myonen die einzigen Teilchen des Standardmodells sind, die diese äußeren Detektoren erreichen und ein sichtbares Signal hinterlassen, lassen sie sich leicht aussondern.
Obwohl auch sie sichtbar sind, lassen sich die Taus nicht so einfach finden. Das Tau ist ein geladenes Lepton wie die Elektronen und das Myon, aber noch schwerer. Wie die meisten schweren Teilchen ist es ebenfalls instabil, was bedeutet, dass es zerfällt und nur andere Teilchen als Gefolge hinterlässt. Ein Tau zerfällt schnell in ein leichteres geladenes Lepton und zwei Teilchen, die Neutrinos genannt werden, oder in ein einzelnes Neutrino und ein Teilchen, das Pion genannt wird und der starken Kraft ausgesetzt ist. Die Experimentalphysiker untersuchen diese Zerfallsprodukte – die Teilchen, in die das ursprüngliche Teilchen zerfiel –, um herauszufinden, ob ein schweres zerfallendes Teilchen für ihr Vorhandensein verantwortlich war, und wenn ja, was seine Eigenschaften sind. Obwohl das Tau nicht unmittelbar eine Spur hinterlässt, tragen alle Informationen, die die Experimente über die Zerfallsprodukte aufzeichnen, dazu bei, es selbst und seine Eigenschaften zu bestimmen.
Das Elektron, das Myon und das noch schwerere Tau-Lepton haben die Ladung –1, die umgekehrte Ladung eines positiv geladenen Protons. Die Beschleuniger erzeugen auch die Antiteilchen, die mit diesen geladenen Leptonen verknüpft sind – das Positron, das Antimyon und das Antitau. Diese Antiteilchen haben die Ladung +1 und hinterlassen ähnlich aussehende Spuren in den Detektoren. Aufgrund ihrer entgegengesetzten Ladungen werden sie beim Vorhandensein eines Magnetfelds in entgegengesetzte Richtungen abgelenkt.
Außer den eben geschilderten drei Arten geladener Leptonen enthält das Standardmodell auch Neutrinos, die Leptonen sind, welche überhaupt keine Ladung tragen. Während die drei geladenen Leptonen sowohl der Kraft des Elektromagnetismus und der schwachen Kernkraft unterliegen, haben die Neutrinos keine Ladung und sprechen daher nicht als die elektromagnetische Kraft an. Bis zu den 1990er Jahren wiesen die experimentellen Ergebnisse darauf hin, dass Neutrinos auch keine Masse hätten. Eine der interessantesten Entdeckungen in jenem Jahrzehnt waren die äußerst geringen, aber eben nicht verschwindenden Massen der Neutrinos, was wichtige Informationen über die Struktur des Standardmodells lieferte.
Obwohl Neutrinos sehr leicht sind und daher gut innerhalb der Energiereichweite von Beschleunigern liegen, lassen sie sich am LHC unmöglich direkt messen, weil sie keine elektrische Ladung haben und deshalb nur schwach wechselwirken – so schwach, dass Sie absolut nichts davon merken, bis es Ihnen jemand sagt, obwohl jede Sekunde mehr als 50 Billionen Neutrinos von der Sonne durch Sie hindurchgehen.
Trotz ihrer Unsichtbarkeit vermutete der Physiker Wolfgang Pauli, dass Neutrinos als »Ausweg der Verzweiflung« existieren, um zu erklären, wohin die Energie gegangen ist, wenn Neutronen zerfallen. Wenn das Neutrino nicht einen Teil dieser Energie abtransportieren würde, hätte es den Anschein, dass die Energieerhaltung durch diesen Prozess verletzt würde, da das Proton und das Elektron, die nach dem Zerfall festgestellt wurden, nicht dieselbe Energiesumme aufwiesen wie das Neutron, das in den Zerfallsprozess eintrat. Sogar bestens bekannte Physiker wie z.B. Niels Bohr waren damals bereit, ihre Prinzipien zu opfern und zu akzeptieren, dass Energie verlorengehen könnte. Pauli hatte ein stärkeres Vertrauen
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