Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
auf bekannte physikalische Prämissen und vermutete stattdessen, dass die Energie zwar tatsächlich erhalten wird, dass aber die Experimentalphysiker das ladungsneutrale Teilchen, das die verbleibende Energie abtransportierte, nicht sehen konnten. Er sollte recht behalten.
Pauli nannte sein damals hypothetisches Teilchen Neutron, aber dieser Name wurde seitdem für andere Zwecke verwendet – nämlich für den neutralen Partner des Protons, der sich im Kern befindet. Also gab ihm Enrico Fermi, der italienische Physiker, der die Theorie der schwachen Wechselwirkungen entwickelte, aber vielleicht am bekanntesten für seinen Beitrag zur Entwicklung des ersten Kernreaktors ist, den niedlichen Namen Neutrino, was auf Italienisch »kleines Neutron« heißt. Natürlich ist es kein kleines Neutron, sondern trägt – wie ein Neutron – keine Ladung. Und tatsächlich ist ein Neutrino viel leichter als ein Neutron.
Wie bei allen anderen Typen von Teilchen des Standardmodells auch gibt es drei Typen von Neutrinos. Jedes geladene Lepton – das Elektron, das Myon und das Tau – besitzt ein mit ihm verbundenes Neutrino, mit dem es über die schwache Kernkraft wechselwirkt. [53]
Wir haben schon gesehen, wie man Elektronen, Myonen und Taus findet. Die verbleibende experimentelle Frage mit Bezug auf Leptonen ist nun, wie die Experimentalphysiker Neutrinos finden. Da Neutrinos keine elektrische Ladung besitzen und so nur schwach weckselwirken, entkommen sie dem Detektor, ohne überhaupt eine Spur zu hinterlassen. Wie kann also jemand am LHC entscheiden, ob sie vorhanden waren?
Der Impuls (der Geschwindigkeit mal Masse ist, wenn sich die Teilchen langsam bewegen, sich aber eher wie Energie verhält, die in eine bestimmte Richtung wandert, wenn das Teilchen sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit bewegt) bleibt in allen Richtungen erhalten. Wie bei der Energie haben wir nie einen Beleg dafür gefunden, dass der Impuls verlorengehen kann. Wenn also der Impuls der Teilchen, die im Detektor gemessen werden, geringer ist als der eingehende Impuls, dann muss irgendein anderes Teilchen (oder mehrere) entkommen sein, das den fehlenden Impuls dabei abtransportiert hat. Diese Art von Logik führte Pauli überhaupt erst zur Alterleitung der Existenz von Neutrinos (in diesem Fall beim Betazerfall des Kerns), und bis heute erfahren wir auf diese Weise von dem Vorhandensein schwach wechselwirkender Teilchen, die unsichtbar zu sein scheinen.
Bei Hadronenbeschleunigern messen die Experimentalphysiker den gesamten Impuls, der senkrecht zum Strahl gerichtet ist, und berechnen, ob etwas fehlt. Sie konzentrieren sich auf den Impuls transversal zum Strahl, da ein großer Teil des Impulses von Teilchen abtransportiert wird, die sich entlang der Strahlröhre bewegen, und daher zu schwer nachzuverfolgen ist. Der Impuls, der senkrecht zu den ursprünglichen Protonen steht, lässt sich viel einfacher messen und erklären.
Da der ursprüngliche Zusammenstoß im Wesentlichen einen Gesamtimpuls von null senkrecht zum Strahl hat, sollte das auch für den Endzustand gelten. Wenn also die Messungen nicht mit den Erwartungen übereinstimmen, können die Experimentalphysiker etwas »feststellen«, das fehlt. Die einzige verbleibende Frage ist, wie man entscheiden soll, um welches der vielen potentiellen nicht wechselwirkenden Teilchen es sich handelte. Bei Prozessen des Standardmodells wissen wir, dass unter den nicht entdeckten Elementen Neutrinos sein werden. Auf der Grundlage der bekannten Wechselwirkungen durch die schwache Kraft, auf die wir gleich zu sprechen kommen, berechnen die Physiker die Häufigkeit der Erzeugung von Neutrinos und sagen sie vorher. Darüber hinaus wissen die Physiker bereits, wie der Zerfall eines W -Bosons aussehen sollte – z.B. ist ein isoliertes Elektron oder Myon, dessen Transversalimpuls eine Energie besitzt, die mit der Hälfte der W -Masse vergleichbar ist, recht einzigartig. Anhand der Impulserhaltung und theoretischer Überlegungen können also Neutrinos »gefunden« werden. Diese Teilchen haben eindeutig weniger identifizierbare Kennzeichen als diejenigen, die wir direkt sehen. Nur eine Kombination aus theoretischen Betrachtungen und Messungen fehlender Energie kann uns sagen, was vorhanden war.
Es ist wichtig, solche Ideen im Gedächtnis zu behalten, wenn wir neue Entdeckungen betrachten. Ähnliche Überlegungen gelten auch für andere neue Teilchen ohne jegliche Ladung oder mit Ladungen, die so schwach
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