Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Theorie, die von Howard Georgi und Sheldon Glashow vorgeschlagen wurde, war ebenfalls eine deduktive Idee. GVTs, wie sie genannt wurden, basierten zwar auf Daten – die Anregung zu ihrem Entwurf war die besondere Menge von Teilchen und Kräften, die im Standardmodell angenommen werden, und die Stärke, mit der sie wechselwirken –, aber die Theorie extrapolierte von dem, was wir wissen, auf das, was auf sehr entfernten Energieskalen geschehen könnte.
Obwohl die Vereinheitlichung sich bei einer Energie ergeben würde, die viel höher ist, als von einem Teilchenbeschleuniger erreicht werden kann, machte das ursprüngliche Modell für eine GVT eine Vorhersage, die potentiell beobachtbar war. Das Georgi-Glashow-GVT-Modell sagte voraus, dass das Proton zerfallen würde. Der Zerfall würde zwar eine lange Zeit in Anspruch nehmen, aber die Experimentalphysiker richteten gigantische Wannen mit Material in der Hoffnung ein, dass zumindest eines der Protonen darin zerfallen und ein sichtbares Signal hinterlassen würde. Als das nicht geschah, wurde das ursprüngliche GVT-Modell ausgeschlossen.
Seit jener Zeit wollten weder Georgi noch Glashow über eine deduktive Theorie arbeiten, die einen solchen dramatischen Sprung von denjenigen Energien, zu denen wir in den Beschleunigern direkten Zugang haben, bis zu jenen macht, die so weit entfernt sind, dass sie möglicherweise nur subtile experimentelle Konsequenzen haben – oder noch wahrscheinlicher überhaupt keine. Sie meinten, dass es einfach lächerlich unwahrscheinlich wäre, eine richtige Vermutung über eine Theorie anzustellen, die im Hinblick auf Abstände und Energie so viele Größenordnungen weit weg von allem wäre, was wir gegenwärtig verstehen.
Trotz ihrer Vorbehalte waren viele andere Physiker der Ansicht, dass ein deduktiver Ansatz die einzige Möglichkeit sei, bestimmte schwierige theoretische Probleme in Angriff zu nehmen. Die Stringtheoretiker beschlossen, in einer Unterwelt zu arbeiten, die zwar nicht offensichtlich traditioneller Naturwissenschaft entspricht, aber zu einem reichhaltigen, wenn auch kontroversen Satz von Ideen geführt hat. Sie verstehen zwar einige Aspekte ihrer Theorie, aber sie sind immer noch dabei, sie zusammen zu fügen – während sie gleichzeitig nach den grundlegenden Schlüsselprinzipien suchen und ihre radikalen Ideen entwickeln.
Die Motivation für die Stringtheorie als Theorie der Gravitation ergab sich nicht aus den Daten, sondern aus theoretischen Rätseln. Die Stringtheorie liefert einen natürlichen Kandidaten für das Graviton, das Teilchen, von dem die Quantenmechanik uns sagt, dass es existieren und die Schwerkraft vermitteln sollte. Gegenwärtig ist sie der führende Kandidat für eine völlig widerspruchsfreie Theorie der Quantengravitation – einer Theorie, die sowohl die Quantenmechanik als auch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie umfasst und die auf allen möglichen Energieskalen anwendbar ist.
Die Physiker können bereits bekannte Theorien verwenden, um zuverlässige Vorhersagen für kleine Abstände zu machen, wie z.B. für das Innere eines Atoms, wo die Quantenmechanik eine große Rolle spielt und die Gravitationskraft vernachlässigbar ist. Da die Gravitationskraft einen so schwachen Einfluss auf Atommasseteilchen hat, können wir die Quantenmechanik anwenden und die Gravitationskraft ohne Bedenken ignorieren. Die Physiker können auch Vorhersagen über Phänomene bei großen Entfernungen machen wie z.B. diejenigen, die in Galaxien auftreten, wo die Gravitationskraft die Vorhersagen dominiert und die Quantenmechanik ignoriert werden kann.
Uns fehlt jedoch eine Theorie, die sowohl die Quantenmechanik als auch die Gravitation umfasst – und die bei allen möglichen Energien und Entfernungen funktioniert. Insbesondere wissen wir nicht, wie wir Berechnungen bei extrem hohen Energien und äußerst kurzen Abständen anstellen sollen, die mit der Planckenergie oder -länge vergleichbar sind. Da der Einfluss der Gravitationskraft für schwerere und energiereichere Teilchen größer ist, würde die Gravitationskraft, die auf Teilchen mit einer Planckmasse wirkt, eine wesentliche Rolle spielen. Und bei der winzigen Plancklänge würde dasselbe für die Quantenmechanik gelten.
Obwohl dieses Problem sich bei keinerlei Berechnungen beobachtbarer Phänomene negativ auswirkt – jedenfalls gewiss nicht bei denen, die am LHC gemacht werden –, bedeutet es, dass die theoretische Physik unvollständig
Weitere Kostenlose Bücher