Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
fertiggestellt worden wäre, hätte er sich in einem viel größeren Tunnel befunden (der in der Tat schon teilweise gegraben worden war) mit einem Umfang von 87 km. Er wurde mit dem Ziel geplant, 40 TeV zu erreichen, d.h. fast das Dreifache der Gesamtenergie des LHC. Diese weitaus größere Energie wäre deshalb möglich gewesen, weil die Maschine von Anfang an so geplant wurde, d.h. ohne die Größenbeschränkung durch einen schon vorhandenen Tunnel und die sich daraus ergebende Anforderung, unrealistisch große Magnetfelder einzusetzen. Der vorgeschlagene europäische Plan hatte jedoch den praktischen Vorteil, dass der Tunnel und die CERN-Infrastruktur von Wissenschaft, Technik und Logistik bereits vorhanden waren.
Eines der eindrucksvollsten Objekte, die ich bei meinem Besuch des CERN sah, war ein Prototyp der riesigen zylinderförmigen Dipolmagneten des LHC. Selbst bei 1232 solchen Magneten ist jeder davon beeindruckend: 15 Meter lang und 30 Tonnen schwer. Die Ausmaße wurden nicht durch physikalische Überlegungen bestimmt, sondern durch den relativ schmalen LHC-Tunnel – sowie durch die Notwendigkeit, die Magneten auf europäischen Straßen zu transportieren. Jeder dieser Magneten kostete 700 000 Euro, wodurch sich die Nettokosten der LHC-Magneten alleine auf mehr als eine Milliarde Dollar beliefen.
Die engen Röhren, die die Protonenstrahlen beherbergen, verlaufen im Innern der Dipole, die an den Enden zusammengefügt sind, so dass sie sich durch das gesamte Innere des Tunnels winden. Sie erzeugen ein Magnetfeld, das 8.3 Tesla stark sein kann, was etwa tausendmal stärker ist als das Feld eines durchschnittlichen Kühlschrankmagneten. Wenn die Energie der Protonenstrahlen von 450 GeV auf 7 TeV ansteigt, erhöht sich das Magnetfeld von 0,54 auf 8,3 Tesla, um die zunehmend energiereicheren Protonen auf ihrer Bahn zu halten.
Das Feld, das diese Magneten erzeugen, ist so gewaltig, dass es die Magneten selbst verrücken würde, wenn es keine Rückhalteeinrichtungen gäbe. Diese Kraft wird zwar durch die Geometrie der Spulen verringert, aber die Magneten werden letztendlich durch besonders konstruierte Vorspannringe aus vier Zentimeter dickem Stahl an ihrem Ort festgehalten.
Abb. 26: Schema eines Kryo-Dipol-Magneten. Die Protonen werden durch 1232 solche supraleitende Magnete auf ihrer Bahn um den LHC-Ring herum gehalten.
Für die leistungsstarken Magnete des LHC ist Supraleiter-Technologie verantwortlich. Die LHC-Ingenieure profitierten von der Supraleiter-Technologie, die für den SSC (Superconducting Supercollider) sowie für den amerikanischen Tevatron-Beschleuniger am Fermilab-Beschleunigerzentrum in der Nähe von Chicago, Illinois, und für den deutschen Elektronen-Positronen-Beschleuniger am DESY-Beschleunigerzentrum in Hamburg entwickelt wurde. Gewöhnliche Drähte, wie z.B. die Kupferdrähte in Ihrem Haus, haben einen Widerstand. Das bedeutet, dass Energie verlorengeht, wenn Strom hindurchfließt. Supraleitende Drähte geben jedoch keine Energie ab. Der elektrische Strom fließt ungehindert durch sie hindurch. Spulen, die aus supraleitendem Draht bestehen, können gewaltige Magnetfelder erzeugen, und wenn es einmal vorhanden ist, wird das Feld aufrechterhalten.
Jeder LHC-Dipol enthält Spulen, die aus supraleitenden Niob-Titan-Kabeln bestehen, von denen jedes verdrillte Drähte enthält, die nur sechs Mikrometer dick sind – viel dünner als das Haar eines Menschen. Der LHC enthält 1200 Tonnen dieser bemerkenswerten Drähte. Wenn man sie auseinanderwickeln würde, wären sie lang genug, um die Umlaufbahn des Mars zu umschließen.
Im Betrieb müssen die Dipole extrem kalt sein, da sie nur dann funktionieren, wenn die Temperatur hinreichend niedrig ist. Die Temperatur der supraleitenden Drähte wird bei 1,9 Grad über dem absoluten Nullpunkt gehalten, was 271 Grad Celsius unter dem Gefrierpunkt von Wasser entspricht. Diese Temperatur ist sogar noch niedriger als die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung im Weltraum von 2,7 Grad. Der LHC-Tunnel beherbergt das kälteste ausgedehnte Gebiet im Universum – zumindest so weit wir wissen. Die Magnete werden Kryo-Dipol-Magnete genannt, um ihrer besonderen Art der Kühlung Rechnung zu tragen.
Zusätzlich zur beeindruckenden Drahttechnik, die für die Magneten verwendet wird, ist das (kryogene) Kühlsystem ebenfalls eine imposante Leistung, die ihre eigenen Superlative verdient. Tatsächlich ist es das größte Kühlsystem der Welt.
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