Die Verraeterin
ihres Kleides raschelten und erinnerten sie daran, dass sie diese lächerliche Aufmachung so bald wie möglich ablegen musste. Der Rat verlangte für solche Gelegenheiten stets offizielle Garderobe, aber sie hasste es. Selbst ihr wilder, leidenschaftlicher Leander trug einen perfekt sitzenden Anzug aus einem Stoff, der so dunkelblau war, dass er fast schwarz wirkte, schimmernde italienische Halbschuhe, Manschettenknöpfe, ein gestärktes weißes Hemd und eine Seidenkrawatte. Nur seine Haare waren ungezähmt wie immer – eine glänzend schwarze Mähne, die ihm auf die Schultern fiel und selbst dann noch wild zerzaust wirkte, wenn er sie gerade gekämmt hatte.
Nackt. Er sah nackt viel besser aus. Obwohl sie wusste, dass er etwas anziehen musste, verhüllten die Kleider nur seine wahre Schönheit.
Das Problem der formellen Kleidung würde schon bald gelöst sein, wie sie sich entschlossen erinnerte. Alle Wunden an ihrem Körper waren inzwischen verheilt, sodass es an der Zeit war, sich ihrer Aufgabe zu widmen und die alten Regeln genauer unter die Lupe zu nehmen.
Jetzt ging es allerdings erst einmal um Morgan.
»Sie haben beide rebelliert.«
»Aus sehr unterschiedlichen Motiven«, unterbrach er sie, noch immer ironisch, noch immer mit beiden Händen hinter dem Rücken verschränkt auf und ab wandernd. Er warf ihr einen leidenschaftlichen Blick unter seinen pechschwarzen Wimpern hervor zu.
Ihr Mund zuckte. »Der eine aus Liebe zu einer Frau, die andere aus Liebe zur Freiheit. Beides edle Ideale …«
»Edel?« Er blieb abrupt stehen und blickte sie durch den Raum hinweg an. Jetzt wirkte seine Miene beinahe streng. »Jenna.«
Er sprach ihren Namen auf die besondere Art und Weise aus, die er benutzte, wenn er sie für unvernünftig hielt – tadelnd und doch liebevoll, zärtlich und zugleich vorwurfsvoll. Sie wurde schlagartig wütend. Sie wandte sich vom Fenster ab, verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich vor den riesigen Kamin, in dem kein Feuer brannte. Ungeduldig stieß sie mit dem Fuß gegen das Eisengitter, das davor angebracht war, und wurde mit einem schwarzen Aschefleck auf ihren elfenbeinfarbenen Satinschuhen belohnt.
»Du kannst das nicht verstehen, Leander. Du hast dein ganzes Leben lang Freiheit genossen. Sie war hier eingesperrt, weggesperrt, hatte nicht einmal die einfachsten Grundrechte …«
»Um sie zu beschützen. Um uns zu beschützen«, erinnerte er sie.
Als Jenna nicht antwortete, trat er hinter sie, sodass sie seine breite Brust an ihrem Rücken spürte. Er hob die Hände, um sanft ihre Schultern zu umfassen. Zärtlich strich er ihre langen goldenen Haare zur Seite und drückte einen weichen Kuss auf ihren entblößten Hals. Finster blickte sie auf die verbrannten Überreste eines schon lange erloschenen Feuers. Sie drehte sich nicht zu ihm um und schlang ihre Arme um ihn, auch wenn sie sich danach sehnte – und zwar mit einer solchen Heftigkeit, die sie noch immer überraschte.
Immer und immer wieder spürte sie diese Sehnsucht nach ihm. Nach seinem Körper, nach seinem Herzen, nach seiner Nähe – selbst wenn er sie verärgert hatte, selbst wenn er sie mit seiner kalten, wohldurchdachten Logik auf die Palme gebracht hatte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, wie es wäre, ohne ihn zu sein, auch nur eine Sekunde lang. Allein der Gedanke daran verursachte ihr körperliche Schmerzen.
Die Liebe, das hatte sie erfahren, war auch eine Art von Gefängnis. Mit Ketten und Schlössern, die zwar unsichtbar, aber genauso real und unerbittlich waren wie die aus Stahl.
»Du weißt, was da draußen ist«, murmelte er. Seine Lippen strichen mit einer Zärtlichkeit über ihre Haut, die sie erbeben ließ. »Du weißt, wovon ich spreche.«
Sie schloss die Augen und holte tief Luft, ehe sie ihm erlaubte, sie näher an sich heranzuziehen. Sein Duft aus Gewürzen, Rauch und Männlichkeit umfing sie. Seine Lippen wanderten ihren Nacken hinab, und der sanfte Druck seiner Zähne auf ihrer Halsschlagader ließ sie vor Lust erbeben. Aber sie war noch immer wütend auf ihn. Wirklich wütend.
»Jeder verdient eine zweite Chance«, sagte sie und sank gegen ihn. Sie ließ den Kopf zurückfallen und legte ihn auf seine Schulter. Seine Lippen wanderten zu ihrer Wange.
»Hm«, murmelte er wenig überzeugt. Er schlang seine Arme sanft und besitzergreifend um sie und vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken. Jenna musste sich dazu zwingen, nicht zu lächeln. Er spürte, dass sich ihre Stimmung
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