Die verratene Nacht
worden war – für eine unbequeme Nacht – voller Furcht, da herausgezerrt und von Zombies gefressen zu werden. Sie zog es vor, die anderen Einzelheiten, die hierher geführt hatten, nicht noch einmal zu durchleben. Stattdessen versuchte sie nicht zu weinen, versuchte nicht der Furcht und der Angst und den Schmerzen nachzugeben.
Ich muss einen Weg hier raus finden. Ich werde einen Weg hier raus finden.
Die Stimme ihres Großvaters kam ihr da wieder. Du bist die Eine. Du bist die Einzige, die es verändern kann.
Sie hatte nie erfahren, was er meinte, aber sie hatte sich seine Warnung zu Herzen genommen: Versteck dich. Lass sie dich nicht finden. Sie hatte ihr ganzes Leben nach diesem Mantra gelebt und niemals verstanden warum.
Die Ironie an ihrer misslichen Lage war, dass sie sie nicht gefunden hatten – wer auch immer „sie“ waren. Seattle hatte keine Ahnung, wer sie war. Und falls doch...
Oh, Gott.
Was, wenn sie es ihm sagte? Was, wenn er realisierte, dass sie diejenige war, nach der sie gesucht hatten?
Würde das ihr das Leben retten?
Tief in ihr drin regte sich etwas Optimismus. Es könnte ihr vielleicht sogar weitere Misshandlungen ersparen.
Aber wenn sie es ihm erzählte, dann wäre ihr Geheimnis entdeckt. Alle würden davon erfahren und man würde niemals aufhören nach ihr zu jagen.
Außer sie tötete ihn vorher.
Nicht dass sie das nicht schon die letzten drei Tage versucht hatte.
Ein kleines Schluchzen versuchte sich seinen Weg aus ihren Lungen nach oben zu bahnen, aber nicht einmal dafür hatte sie die Kraft. Die Rippen schmerzten ihr, wo Seattle nach ihr getreten hatte.
Sie bewegte ihr angekettetes Handgelenk so weit wie möglich, in dem Versuch es sich etwas bequemer zu machen. Es war dunkel und überall waren Schatten, aber ein Stückchen Mondlicht, das dort auf dem Boden leuchtete, spendete ein wenig Licht. Gab es irgendetwas hier unten, was sie als Waffe einsetzen konnte? Alles war aus Metall, manches davon rostig...
Mit neuer Hoffnung begann sie unter dem Truck alles abzutasten und fragte sich, ob sie ein spitzes Stück Metall abbrechen konnte.
Ich werde ihn auf gar keinen Scheißfall gewinnen lassen.
~*~
„Du machst jetzt Schluss“, sagte Theo. „Selena. Du muss jetzt aufhören.“
Die Erschöpfung und Verzweiflung, die ihr Gesicht zeichneten, erschreckten ihn. Er hatte sie all dem hier ausgesetzt und jetzt musste er zuschauen, wie sie allmählich erlosch, konnte wenig außer körperlicher Unterstützung leisten. So war das wohl, wenn man Monster erschuf...
„Einen noch“, sagte sie, die Stimme dünn, die Augen leere, dunkle Höhlen. „Ich kann jetzt nicht aufhören.“ Sie wandte sich dem Kanal zu, wo schon wieder ein Körper darauf wartete, wiederbelebt und erlöst zu werden.
Wyatt und Elliott waren im Aufzug auf das Dach von dem Tank gefahren und hatten herausgefunden, wie man die Maschinerie betrieb, mit der man die Körper in die Röhre runter gleiten ließ – denn es schien keinen anderen, keinen menschlicheren Weg zu geben, um sie da raus zu fischen. Theo war bei Selena geblieben, als sie Person um Person um Person in deren betäubtem Zustand berührte und erlöste, aus ihrer Hölle am buchstäblich lebendigen Leib erlöste.
Mehr als fünfzig in den letzten paar Stunden und er konnte sehen, welchen Tribut sie dafür zahlen musste.
Sorge und Wut bekamen die Oberhand und er packte Selena bei den Schultern, drehte sie zu sich um, damit sie ihn anschauen musste. „Es tut mir Leid, dass ich dich gebeten habe, das hier zu tun“, sagte er. „Es ist zu viel, Selena. Ich will nicht, dass dir etwas passiert.“
„Nichts wird mir passieren“, sagte sie fest entschlossen, ihre Augen blitzten sogar kurz auf, trotz der Blässe auf ihrem Gesicht, der tiefen Falten um ihren Mund. „Ich bin die Einzige, die das hier tun kann. Die Einzige.“
Er nickte. „Ich weiß. Aber du brauchst eine Pause.“
„Nein“, sagte sie. „Ich muss–“
„Selena. Du brauchst eine Pause. Es ist zu viel.“ Er hatte ihren Körper zittern und zusammenzucken sehen, mit jeder Person, die sie berührte, immer wenn sie dann ihren Schmerz oder ihr Leben auf sich nahm, oder was auch immer es war, was sie da tat. Und er wusste ganz eindeutig, wenn sie diesen Ort nicht verlassen würden, dass sie dann darauf bestehen würde, ohne Unterbrechung weiterzuarbeiten, bis es fertig war.
Bis alle Leute gerettet waren.
Seine Selena war einfach so.
„Wir gehen zu Vonnie und Lou zurück“,
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