Die verratene Nacht
griff nach der verrottenden Hand der Frau, sobald er das Handgelenk befreit hatte und der unförmige Körper sich bewegte, schwankte, als er versuchte sich in eine Position wie aufrechtes Sitzen zu bringen.
Er weigerte sich, die Beine der Kreatur loszubinden, aber es war auch so genug. Selena berührte die Hand der Frau und spürte die körnige, schuppige Haut an ihrer eigenen und sie umschloss den Kristall mit den Fingern ihrer anderen Hand. Als sie der Frau in die Augen schaute, auf der Suche nach jenem letzten Quäntchen Menschlichkeit, jenseits der gutturalen, stöhnenden Laute, die nach nichts klangen, da entstand auf einmal eine Verbindung zwischen ihnen beiden. Sie blickte tief hinein in das brennende Orange, in die Angst und die Furcht, die darin vergraben war.
Dann durchstieß sie eine Schockwelle von Energie und Selena nahm die Erinnerungen der Frau in sich auf, als der letzte Rest von Kraft aus jenen orangenen Augen entwich. Die schreckliche Kreatur sackte in sich zusammen und fiel dann wieder mit einem dumpfen Schlag rückwärts auf den Tisch.
Selena drehte sich zu Theo. „Sie ist weg.“
Er nickte und ergriff ihre Hand. „Danke.“
Und da durchfuhr es sie wie ein Blitz: dass er auf sie gewartet hatte, um der Kreatur zu helfen. Anstatt sie selbst zu töten. Anstatt die gleiche Art blinder, brutaler, gewalttätiger Hinrichtung zu verüben, die sie bereits gesehen hatte.
Sie zitterte ein wenig, als sie den Raum ringsum betrachtete. Wyatt und Elliott hatten nichts getan, außer von da drüben aus in entsetztem Schweigen zuzuschauen.
„Theo“, sagte Wyatt jetzt und zeigte auf einen langen Kanal hinter sich. „Was ist das?“
Theo blickte kurz Selena an und brachte sie dann dort rüber. Sie keuchte auf, als sie zwei Leute in etwas Flüssigkeit treiben sah, die aussah wie dickflüssiges, trübes Wasser.
„Ballard nahm sie“, und er zeigte auf den toten Zombie, „hier raus. Sie war genau wie die beiden hier, bis er sie rausnahm und ihr etwas ins Gehirn gespritzt hat. Einen Kristall und etwas von einer anderen Flüssigkeit – da drüben, Elliott.“ Er zeigte mit einer zitternden Hand zu einem Tisch. „Und dann ist sie zu dem da geworden. Direkt vor unseren Augen.“
Drei offene Münder, die Gesichter nur noch Ekel und Entsetzen. „Einfach so?“, fragte Selena.
Theo nickte. „Das Schrecklichste an dem Ganzen war, dass er die ganze Zeit über mit ihr geredet hat, nachdem er sie da aus–dem Zeug da–rausgenommen hatte. Sie war immer noch am Leben, sich immer noch bewusst, was gerade passiert. Sie hat sogar Fragen von ihm beantwortet – oder es zumindest versucht. Und von dem, was er sagte“, Theo schluckte jetzt hörbar, sein gutaussehendes Gesicht verzerrte sich jetzt zu etwas Altem und Ausgezehrtem, „hat man sie die ganze Zeit über so gehalten, in diesem Zeug. Über fünfzig Jahre.“
Selena schlug sich die Hand vor den Mund, als sie auf die beiden Gestalten runterblickte, aber sie war nicht imstande zu verhindern, dass ihr Magen sich zusammenzog und leerte. Sie fand gerade noch einen Eimer, bevor sie ihren Mageninhalt von sich gab. Als sie wieder hochschaute, sah sie, dass die anderen ebenso entsetzt waren. „Mein Gott“, flüsterte sie.
„Ich weiß“, sagte Theo und hielt ihren Blick fest. „Es hat die Art und Weise, wie ich über die Zombies denke, komplett verändert.“
„Warum hast du sie da drin gelassen?“, fragte Elliott, ein etwas angespannter und auch anklagender Unterton in der Stimme, als er auf die Gestalten in dem Kanal zeigte.
Theo schüttelte den Kopf, seine Lippen zusammengepresst. „Wir haben einen von ihnen rausgenommen. Sie können nicht atmen, können sich nicht bewegen. Sie fangen einfach nur an zu keuchen und zu husten, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Lou und ich haben versucht sie zu retten, aber wir wussten nicht, was tun. Also haben wir ihn wieder reingetan, bis ... bis wir herausfinden, was wir tun müssen.“
Dann richtete sich Theo noch auf und holte einmal tief Luft. „Und das ist noch nicht alles. Dieser große Tank da draußen – ihr habt den gesehen, als wir reinkamen – , er ist voll ... voll “, hier brach ihm die Stimme, „mit mehr von denen. Und darunter auch,“, erschaute Selena an, „Wayne und Buddy.“
„Himmel Herrgott“, sagte Wyatt, die Worte knapp und leise. Sein hartes Gesicht war noch härter geworden und er wandte sich ab.
„Diese armen Menschen. Was zum Teufel werden wir denn jetzt mit ihnen anstellen?“,
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