Die verschollene Flotte 04 - Gearys Ehre
Chance haben.«
Desjani zuckte mit den Schultern und sah Geary an. »Diese Syndik-Kriegsschiffe, die unsere Flotte abfangen wollen, haben auch keine Chance, und doch sind sie auf dem Weg hierher.«
Geary schüttelte den Kopf. »Wenn diese Leute auf den Schiffen bleiben, ohne dass sie eine Gefechtsausbildung erfahren haben, können sie damit überhaupt nichts erreichen.
Sie und ich, wir würden zumindest dafür sorgen, dass die Schiffe dem Feind nicht unversehrt in die Hände fallen, wenn wir den Verdacht hätten, dass er es darauf abgesehen hat. Aber sinnlos zu sterben, würde unserer Sache nicht dienen.« Mit dem Kinn deutete er auf Richtung Display, das die beiden herannahenden Kriegsschiffe zeigte, die noch Stunden entfernt waren. »Der Syndik-Kommandant schmeißt diese Schiffe mit ihren Besatzungen weg, weil er das kann. Weil die Besatzungen jedem sinnlosen Befehl folgen, auch wenn der ihnen den sicheren Tod bringt. Mögen die Lebenden Sterne mir beistehen, wenn ich jemals entscheiden sollte, Leben zu vergeuden, nur weil ich das kann.«
Desjani legte die Stirn in Falten und kniff ein wenig die Augen zusammen. Für jemanden, der so erzogen worden war, dass er glaubte, seine Ehre verlange von ihm den Kampf bis zum Tod, musste das ein schwieriges Konzept sein. Immerhin war es genau das, was sie tun würde, wenn die Umstände es von ihr erforderten. Aber diese Verpflichtung war sie bereits eingegangen, noch bevor sie zur Flotte gegangen war, und seitdem lebte sie damit. »Ja, Sir«, entgegnete sie schließlich. »Ich versiehe, was Sie meinen. Wir erwarten Gehorsam von unseren Untergebenen, und im Gegenzug verdienen sie unseren Respekt für ihre Bereitschaft, einen Befehl auch dann zu befolgen, wenn er ihren Tod bedeutet.«
»Ganz genau.« Sie hatte es besser formuliert, als er es hin-bekommen hätte. Er erinnerte sich daran, wie Desjani ihm einmal erzählt hatte, dass man ihr eine Anstellung in der Literaturagentur ihres Onkels angeboten hatte, bevor sie zur Flotte gegangen war. Unwillkürlich fragte er sich, was wohl aus ihr hätte werden können, wäre sie nicht mitten in einem Krieg geboren worden, der zu der Zeit schon seit Jahrzehnten lobte.
Als sich Rione erneut zu Wort meldete, klang sie neugie-rig: »Eines verstehe ich hier nicht. Sie haben gesehen, wie die Syndiks in aller Eile die Kriegsschiffe verließen, die wir bereits passiert haben, aber das schienen Sie in keiner Weise als uneh-renhaft zu empfinden - ganz im Gegensatz zu den Zivilisten, die in diesem Moment von ihren Schiffen fliehen. Wieso?«
Desjani verzog den Mund, drehte sich aber weder zu Rione um, noch gab sie ihr eine Antwort. Schließlich sprang Geary ein. »Weil die Besatzungen der Kriegsschiffe bis zum letzten Augenblick gewartet haben, ehe sie von Bord gingen.«
Co-Präsidentin Rione musterte ihn einen Moment lang, als überlege sie, ob seine Worte ernst gemeint waren. »Obwohl die Evakuierung unvermeidbar war, ist es ehrenhafter, dass sie noch gewartet haben, anstatt ihr Schif f in dem Moment zu verlassen, da bereits klar war, dass sie uns nicht entkommen konnten? Verstehe ich das richtig?«
»Nun…ja.« Geary schaute zu Desjani, aber die schien nicht daran interessiert zu sein, ihm dabei zu helfen, Victoria Rione irgendetwas zu erklären. »Es könnte ja noch etwas Unerwartetes geschehen. Vielleicht ändern wir den Kurs. Vielleicht taucht hinter uns aus dem Sprungpunkt eine schlagkräftige Syndik-Flotte auf, oder aus dem Hypernet-Portal kommt Verstärkung, die uns dazu veranlasst, die Flucht zu ergreifen.
Womöglich gibt es für den Verfolger einen Grund, den Angriff in letzter Sekunde abzubrechen, weil es ihnen gelungen ist, doch noch ein Waffensystem wieder in Gang zu setzen, weshalb sie sich nun wehren können. Alles Mögliche kann passieren, und deshalb wartet man für alle Fälle bis zur letzten Sekunde.«
»Für den Fall, dass ein Wunder geschieht?«, fragte Rione.
»Sozusagen, ja. Denn manchmal geschehen Wunder. Manchmal, wenn man weiterkämpft oder weiter zum Kampfbereit ist, auch wenn es keine Hoffnung mehr zu geben scheint.«
Sie studierte ihn eine Weile, dann senkte sie für einen Moment den Blick. »Ja«, sagte Rione schließlich. »Manchmal geschehen Wunder. Wenn man nicht aufgibt, solange noch ein Funke Hoffnung besteht. Das verstehe ich. Aber wann ist der Punkt erreicht, an dem diese Hoffnung auf ein Wunder sich von inspirierter Motivation zu selbstmörderischem Irrsinn wandelt?«
Wie sollte er darauf
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