Die verschollene Karawane
Angst mehr und starrten ihn so mitleidig an, so, als müsse er sich für seine Todesangst entschuldigen? Was machte Jahzara da? Er schrie auf: »Neeeiiin, Jahzara, nein, nicht die Gurte lösen! Bist du denn wahnsinnig? Du stürzt aus dem Hubschrauber! Willst du dorthin, wo deine Ahnin im Sand der Wüste begraben liegt? Jaaazaaahra! Bitte, macht das nicht! Bitte, bitte! Bleib bei mir! Du hast mir doch versprochen, bei der Taufe unseres Kindes dabei zu sein. Nicht doch, du musst dich nicht freiwillig Gog und Magog opfern, um mein Leben zu retten. Sie wollen nicht dich als Opfer, sie wollen uns alle!«
Durch den Nebelschleier aus Sand und Wolken sah Peter zu seinem Entsetzen, wie sich Jahzara aufrichtete und ihre Gurte löste. Leichtfüßig, beinahe schwerelos wie eine Fee schritt sie auf ihn zu. Mein Gott, wieso lacht sie wie ein vom Wahnsinn in die Furchtlosigkeit entführtes kleines Kind? Hast du den Verstand verloren, Jahzara? Nein, tu das bitte nicht…
Ein Schlag gegen seine Wange ließ ihn erstarren. Ungläubig schüttelte er seinen Kopf. Was war das? Wer, verdammt noch mal, packte ihn da so brutal an seinen Schultern und schüttelte ihn wie ein Besessener? Der Priester etwa?
»Aua, das tut weh! Lass mich doch in Ruhe, du verrückter Gottesmann. Kümmere dich lieber um Jahzara! Siehst du nicht, dass sie aus dem Hubschrauber springen will? Schau sie dir an, wie sie engelsgleich lacht. Sie ist wahnsinnig, sie glaubt, sie könne fliegen! Sie will zu Sahel, ihrer Ahnin! Aua, verflixt, jetzt reicht es aber.«
»Peter! Peter, wach auf!«
Jahzaras sanfte Worte hallten wie ein gedämpftes Echo durch sein Unterbewusstsein. Er wunderte sich. Sie stand vor ihm, lächelte und schien noch immer wie ein Engel zu schweben. Wieder fühlte er zwei Hände, die ihn an den Schultern packten und sanft schüttelten.
»Hey, du, wach auf! Es ist vorbei! Peter, haaalllooo!«
Peter misstraute dem schönen Traum. Eben noch war die Illusion von der Rettung nackter Angst vor dem Tod gewichen. Nicht schon wieder! Er verkraftete das nicht mehr. Alles in den letzten Wochen war zu viel gewesen. Er wollte nicht mehr mit tödlichen Wahrheiten konfrontiert werden. Er wollte leben – mit Yvonne! Plötzlich fühlte er, dass alles um ihn herum so sanft und still und grenzenlos friedlich war. Jahzaras Worte wirkten eigenartig fröhlich. Er öffnete seine Augen, schüttelte seinen Kopf, als wollte er Traum von Wirklichkeit trennen. Ein greller Lichtreflex blendete ihn. Er kniff die Augen zu und hielt die Hand schützend vor sein Gesicht. Die Sonne tat seinen Augen weh. Was war geschehen? War er dem Wahnsinn nahe? Durch die weit geöffnete Glastür sah er ein Paradies. Sanfter Wind strich durch die Dattelpalmen und ließ deren Blätter erzittern. Eine kühle Abendbrise verfing sich in den fleischig-roten Blüten von Tulpenbäumen. Von irgendwo her drang das beruhigende Plätschern eines Springbrunnens zu ihm und ließ ihn langsam erahnen, dass dies kein Traum war. Nein, es war kein Traum, denn hinter den Wipfeln der Bäume, die er vom Bett aus sehen konnte, erkannte er die Pyramiden von Gizeh. Prächtig und scheinbar zum Greifen nahe thronten sie über dem Park. Sanftes Licht tauchte ihre Spitzen in Rot. Vögel zwitscherten ihre Begeisterung über den wunderbaren Beginn des Sonnenuntergangs in die Welt hinaus. Der betörende Geruch von Bougainvillea und Jasmin lag in der Luft und einte sich mit dem Duft von Jahzara. Sie roch nach Frangipani und nach den Kräutern äthiopischer Berge.
»Brüderchen, du hast geträumt. Komm, mach die Augen auf, schau dir den Garten Eden an. Es war nur ein Albtraum. Alles ist gut. Wir leben!«
Jahzara saß neben ihm auf dem Bett. Sie sah zauberhaft aus. Das zartgelbe Kleid, das ihr die Frau des italienischen Botschafters in Algier geschenkt hatte, stand ihr hervorragend. Ihr schwarzes Haar mit den hellen Strähnen glänzte. Ihre Augen strahlen Kraft und Ruhe und viele schöne Gefühle für ihn aus. Er spürte Schweiß auf seiner Stirn.
»Uff, das war ein grausamer Traum, Prinzessin! Ich sah dich dem Wahnsinn nahe, bereit, aus dem Hubschrauber zu springen. Grausam war es. Aber jetzt ist alles okay. Lass mich nur einige wenige Minuten zur Besinnung kommen. Ich muss mich erst daran gewöhnen, wo ich bin.«
Jahzara strich ihm sanft die schweißnassen Haare aus der Stirn. »Lass dir Zeit. Wir haben noch eine Stunde, bis wir abgeholt werden. Ich setze mich zwischenzeitlich ein wenig auf den Balkon und genieße diesen
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