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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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Natur. Eine wundersame Ruhe überkam sie. Sie hörte weder das Toben des Sturms noch das Prasseln der Sandkörner. Bald würde im Land der Leere über dem Wagen eine neue Düne entstehen und sie bei lebendigem Leibe begraben. Langsam würde ihnen der Sauerstoff ausgehen. Sie würden einschlafen, Hand in Hand, eng umschlungen. Dann würde es wunderbar dunkel und ruhig werden.
    Peter sprach zu ihr. Seine Worte drangen nur als gedämpftes Echo in ihr Bewusstsein vor. Was will er denn schon wieder? Lästiger, lieber Plagegeist, der du bist! Wie lieb und besänftigend seine Stimme doch klang. Fast so wie die Stimmen ihrer Ahnen in ihren Kindheitsträumen. Ach, es war so wunderbar, Peter, ihren Bruder und Freund, als Wegbegleiter zu haben. Gemeinsam würden sie dorthin gehen, wo ihr Bruder längst war und wo sie schon einmal hingewollt hatte. Wie schön, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen! Der Allmächtige würde im Land der Leere vereinen, was er einst als Zwillinge geschaffen und nach Seinem Willen getrennt hatte. Und Peter würde sie begleiten. Würden die beiden sich verstehen? Doch ja, ganz sicher. Er war wie sie gewesen. Sie waren Zwillinge an Leib und Seele. Im Tod würden sie eins sein in ihren Gefühlen für Peter. Wie schön diese Vorstellung war. In jener Welt, in die sie heute reisen würde, hätte sie zwei Brüder. Und ihre Ahnen. Alle wären sie vereint in einem Reich, das keine schrillen Töne, keine Ängste, keine Missgunst, keinen Hass und keine Intrigen, weder Gog noch Magog, sondern nur Liebe und Harmonie kannte. Eine friedvolle Welt. Das Paradies.
    Jahzara schloss die Augen und betete. Sie glaubte zu hören, wie Peter das ebenfalls tat. Ganz leise, etwas verschämt. Schau an, dachte sie und lächelte vor sich hin, während das Tosen um sie herum immer leiser und das Licht im Wagen zunehmend gedämpfter wurde. Schau mal einer an. Auch er hat letztendlich zum wahren Glauben gefunden. Peter hatte sein ganzes Leben lang wohl immer etwas gesucht, von dem er selbst nie wusste, was es war. Nun hatte er es gefunden: innere Ruhe, Zufriedenheit. Keine Unrast, kein unstetes Herumhetzen auf der Suche nach mehr. Woran er wohl dachte? An Nicole? Yvonne? Oder vielleicht auch ein wenig an sie, an seine äthiopische Prinzessin?
    Ihre Gedanken wurden von lauten Geräuschen unterbrochen. Der Lärm ärgerte sie. Dieses grauenhafte Knattern war kaum auszuhalten. Es war überall und störte ihre Träume. Dann drangen Worte aus Peters Mund zu ihr durch. Was war denn nun schon wieder so wichtig? Wieso ließ er sie nicht einmal in Frieden? Sie wollte sich doch nur ein wenig ausruhen für den langen Weg ins Jenseits. Wieso konnte sich Peter denn nicht mit den Wahrheiten abfinden? Immer musste er dem Schicksal trotzen. Jetzt doch nicht mehr, Peter! Mit dem Sturm hat Gottes Fügung dein Leben vereinnahmt. Sträub dich nicht länger. Warum, lieber Peter, hast du denn so eine weinerliche Stimme? Komm, stell dich nicht so an. Der Weg, den wir heute gehen, war doch vorbestimmt seit unserer Geburt: Asche zu Asche, Staub zu Staub. Bei uns wird es der Sand sein – im Land der Leere, an den Ufern des Meeres der Finsternis. Was der Herr gibt, das nimmt er auch wieder. Also hör auf, zu zweifeln, du ungläubiger Thomas. Glaube es doch endlich, dass die Richtungen der großen Ströme unseres Daseins von Ihm vorgegeben sind. Er lässt dich mit den kleinen Rinnsalen des Lebens ein wenig spielen, lässt dich glauben, dass du Einfluss hast auf die Dinge, die geschehen. Er mag nun mal glückliche Menschen. Aber das ist nur ein kurzweiliges Vergnügen, Peter! Er hat Pläne mit dir – und mit mir. Daran wirst du nichts ändern. Also hör bitte auf, mich so zu schütteln. Ich mag dieses Spiel nicht mehr. Er hat gerufen. Also komm, hör endlich auf, mir zuzureden. Füge dich und folge mir.
    Jahzara war inzwischen verärgert über Peter. Er schüttelte sie, schien geradezu böse zu sein, dass sie nicht auf seine Worte und Schreie reagierte. Sie öffnete die Augen. Im Schein des Feuerzeugs, das Peter hielt, wirkte das Wageninnere wie eine wohlige dunkle Höhle. Sie lächelte ihn an. Er sah sehr gut aus im Licht der Flamme. Ein bisschen wirr schien er schon zu sein. Oder warum riss er seine Augen so weit auf? Warum musste er denn so schreien?
    »Jaaahzaaara! Wach auf! Bitte, bitte, bitte mach die Augen auf. Horch! Hörst du es? Das Geräusch. Da ist jemand!«
    Jahzara hörte es. Ja, doch, da war was. Aber es war eher unangenehm. So laut und

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