Die verschollene Symphonie
nach Bayreuth zurück, wo er allein am Grab im Garten der Villa Wahnfried Abschied von seinem Freund nahm.«
»Das war sicher eine schwere Zeit für ihn«, sagte Marisa.
»Ohne Frage«, erwiderte Juda. »Und sie verfehlte ihre Wirkung nicht: Wagners Tod hat Ludwig in den letzten drei Jahren seines Lebens in den Wahnsinn getrieben.«
»Sie zerfließen ja geradezu vor Mitleid.«
Juda lächelte nur und schwieg.
Galen fuhr mit seiner Geschichte fort. »Mit dem Tod des Komponisten war Ludwig die seelische Kraft verloren gegangen, die er aus dessen Werk geschöpft hatte. Geldnöte machten es ihm unmöglich, seine Bauvorhaben weiterzuführen. Und schließlich wandten sich auch noch seine eigenen Amtsträger gegen ihn. Sie warfen ihm vor, seine Aufgaben als König nicht mehr länger erfüllen zu können, und schon bald sprach man am gesamten bayerischen Königshof davon, dass Ludwig abdanken und ein neuer König gekrönt werden solle. Doch niemand wusste genau, wie dies in die Wege zu leiten war.
Die Ränke gegen den König, die in München unerbittlich geschmiedet wurden, stützten sich im Wesentlichen auf eine Diagnose von Doktor van Gudden über Ludwigs prekären Geisteszustand. Schließlich wurde König Ludwig für regierungsuntauglich erklärt und Prinz Luitpold zum neuen Herrscher erhoben. Man riet Ludwig, über die Grenze nach Österreich zu fliehen, doch er weigerte sich, sein Königreich zu verlassen. Der König drohte mit Selbstmord und wollte wissen, wie van Gudden zu seiner Diagnose gelangt sei, obwohl er ihn nicht einmal untersucht hatte. Gudden antwortete kurz und bündig, dass eine Untersuchung nicht nötig sei, und nachdem er drei Stunden auf den König eingeredet hatte, willigte dieser schließlich ein, sich in aller Stille nach Berg zu begeben.
Um vier Uhr morgens stieg Ludwig allein in seine Kutsche. Die Griffe der Kutschentüren waren entfernt worden, so dass sie sich von innen nicht öffnen ließen. Ein Pfleger hatte neben dem Kutscher Platz genommen, und ein Hausdiener begleitete die Kutsche auf einem Pferd. Nachdem sie in Berg angekommen waren, empfahl der kurze Zeit später eingetroffene van Gudden dem König, das Frühstück zu sich zu nehmen und danach ein wenig zu ruhen. Er schlief einige Stunden unter Aufsicht und wurde danach zunehmend unruhig.«
»Darf ich weitererzählen?«, fragte Maddox.
»Nur zu«, erwiderte Galen.
»Es war spät am Morgen eines trüben Juni-Tags, als van Gudden dem König vorschlug, einen Spaziergang zu unternehmen. Es regnete ein wenig und Ludwig trug einen Mantel und einen Schirm. Vor ihnen lief ein Wachmann und hinter ihnen zwei Pfleger.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Juda. »Aus historischen Quellen?«
»Nein«, sagte Maddox. »Ich war einer der Pfleger. Ludwig war über den Wachmann beunruhigt und erkundigte sich, ob irgendeine Gefahr bestünde. Man beruhigte ihn, und die Gruppe kehrte ins Schloss Berg zurück. Van Gudden ordnete einen weiteren Spaziergang am Nachmittag an, dieses Mal jedoch ohne die Begleitung des Wachmanns, da dessen Anwesenheit den König aufgeregt hatte. Ludwig aß allein zu Mittag und schickte dann einen der Pfleger nach van Gudden, damit sie aufbrechen konnten. Der Arzt beschloss, den Spaziergang mit Ludwig allein zu unternehmen, und teilte den Pflegern mit, dass sie gegen acht Uhr zurück sein würden. Als sie um diese Zeit nicht wiederkehrten, schickten die Pfleger zwei Wachmänner, um nach dem Rechten zu sehen.
Um 22:30 fanden sie Ludwigs Hut, Jackett, Mantel und Schirm am Ufer des nahe gelegenen Starnberger Sees. Kurze Zeit später entdeckte ein Verwalter von Schloss Berg zwei Leichen, die nebeneinander im flachen Wasser lagen. Die Leichen wurden nach Berg gebracht und in getrennten Räumen aufgebahrt. Der Bürgermeister von Starnberg und andere Amtsträger wurden herbeigerufen, um sie zu untersuchen. Schließlich wurde Ludwigs Leichnam nach München gebracht. Dort bahrte man ihn feierlich in einem offenen Sarg auf, in sein hermelinbesetztes Staatsgewand gehüllt, inmitten von Blumen und Kerzen. Am 17. Juni 1886 wurde er in der Hofkirche St. Michael zur letzten Ruhe gebettet.«
»Bis heute«, sagte Galen, »ist es ein Geheimnis geblieben, was an dem Tag, als der König mit seinem Arzt spazieren ging, tatsächlich geschehen ist. Es gibt viele Theorien, doch niemand wird es jemals sicher wissen können. Und dank Juda werden wir es nun auch nicht mehr erfahren.«
»Ich weiß, was geschehen ist«, sagte
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