Die Verschwoerung von Toledo
christlichen Vorstellungen?«
»Alles ist Gott? Das Allerhöchste ebenso wie das Allerniedrigste?«
»Alles ist Gott. Und nur unsere beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit verhindert, dass wir diese Wahrheit in jedem Augenblick erleben können. Aber für den eingeweihten Kabbalisten ging das Paradies niemals verloren. Er ist niemals daraus vertrieben worden. Er lebt in der Seligkeit Gottes und bewegt sich darin.«
»Das kann ich auch empfinden. Es ist mein Glaube, der sich darin ausdrückt.«
»Nein, als Christ bist du dir dessen nicht bewusst. Sonst würdest du ja die Erbsünde leugnen. Vergiss alles, was du weißt. Und fange ganz von vorne an.«
»Wie ein kleines, neugeborenes Kind, das Jesus zu sich kommen lässt, weil es nicht nur unschuldig, sondern auch ohne Wissen und damit ohne Vorurteile ist?«
»Genau so. Du hast die dritte Lektion begriffen.«
Nach der Stunde machten Lehrer und Scholar eine Pause. Theophil musste die Schule für zwei Tage verlassen, um nach Torrijos zu reisen, wo er eine Mikwa einweihen sollte. Henri wiederholte, was er gelernt hatte.
Inzwischen hatte sich Ferrand um seine Nähe bemüht, offensichtlich hielt er Henri unbeirrt für einen Vertrauten, wenn auch für einen, der noch mit den richtigen Standpunkten zu erleuchten war. Henri mied seine Gesellschaft. Von Ferrand ging etwas Unerfreuliches aus, das im Gegensatz zu der Aufgeschlossenheit und Freude der Jeschiva stand. Ferrand schien ein Eiferer zu sein. Henri dachte: Auch die Wahrheit, wenn sie sich verteidigen muss, sollte Acht geben, nicht zu eifern. Das schadet ihr in jedem Fall. Und er nahm sich vor, das Ferrand zu sagen.
Theophil empfing ihn am Morgen des übernächsten Tages mit wohlwollenden, wenn auch strengen Blicken.
»In unserer heutigen Stunde gehen wir einen Schritt weiter. Du wirst lernen, von welcher Art die verborgenen Bedeutungen sind, über die ich in den Sitzungen zuvor gesprochen habe. Du hast schon erfahren, dass wir Kabbalisten in unserem Umgang mit Buchstaben, Wörtern und Zahlen eine besondere Vorsicht walten lassen. Denn sie sind für uns besondere Dinge. Alle Zeichen sind numinos.«
»Ich kann sagen, dass ich diesen Kenntnissen beinahe mein Leben verdanke.«
»Ach?«
»Man befreite mich aus einem französischen Donjon und benutzte dabei die Geheimzeichen der Bauhütten, um meterdicke Wände aufzuschließen.«
»Und das gelang?«
»Zwar konnte ich aus eigener Anstrengung fliehen. Aber ohne die Kenntnisse meiner Gefährten wäre die Flucht aussichtslos geblieben, und meine Verfolger hätten mich eingeholt.«
»Wer waren deine Gefährten?«
»Ein sarazenischer Korangelehrter aus Cordoba, er heißt Uthman ibn Umar. Den anderen erwarteten wir beide sehnsüchtig in den nächsten Stunden oder Tagen.«
»Ah, du meinst Joshua ben Shimon! Er ist einer der bedeutendsten jüdischen Zahlenmystiker.«
»Keiner von beiden hätte es allein geschafft, die Geheimzeichen an den Mauern zu entziffern, aber ihre jeweiligen Kenntnisse wirkten wie zwei Schlüssel für ein Schloss.«
»Das ist wirklich ein schönes Beispiel für die Wirkung des Numinosen. Aber – ich wollte von der verborgenen Bedeutung sprechen. Wenn wir unsere Schöpfung und ihren Schöpfer, die viele Namen haben, in einem Zahlwort ausdrücken wollen, wie lautet es dann?«
»Ich… weiß es nicht.«
»Denk nach!«
»Tausend? Wegen des tausendjährigen Reichs, das uns verheißen worden ist?«
»Nein, einfacher. Das Zahlwort lautet Eins. Eins ist im hermetischen Denken der Kabbala Ursprung und Anfang von allem. Und was heißt auf Hebräisch Eins?«
»Achad.«
»Und wie buchstabiert sich das?«
»Lass mich überlegen! Die Buchstabenfolge ist: Aleph, Cheth, Daleth.«
»Richtig. Und wie ist der Zahlenwert dieser Buchstaben im Alphabet?«
»Eins, acht, vier.«
»Und nun addiere es.«
»Es ergibt die Zahl dreizehn.«
»Merke dir diese Zahl. Nun weiter. Was bedeutet das Wort Ahavah?«
»Es bedeutet Liebe.«
»Buchstabiere es.«
»Aleph, Heh, Beth, Heh.«
»Was ist der numerische Wert dieses Wortes im Alphabet?«
»Eins, fünf, zwei, fünf. Zusammengerechnet ergibt das ebenfalls dreizehn.«
»Sehr gut. Und was folgern wir daraus? Nun, Liebe und eins für Einheit sind wesensgleich. Mehr noch. Wenn wir zweimal dreizehn zusammenrechnen, dann ergibt sich?«
»Sechsundzwanzig.«
»Und genau diese Zahl entspricht dem numerischen Wert für ein besonderes Wort. Es ist das Wort der Wörter. YAHWE! Unser Wort für Gott!«
»Tatsächlich?
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