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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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empfing ihn mit ausgebreiteten Armen und breitem Lachen. Er hatte gerade Besuch.
    Henri erblickte einen kleinen Mann, dessen würdevolle Bekleidung im seltsamen Kontrast zu seinem durchtrieben wirkenden, spitz zulaufenden Gesicht und den öligen Haaren stand. »Dies hier ist Manuel aus Arcos, einem der andalusischen Grenzorte des Südens im Kampf gegen die Mauren. Er brachte mir etwas.«
    Henri nickte dem Fremden freundlich zu und betrachtete das reich verzierte Korporalkästchen, das Ferrand ihm entgegenstreckte. Er erkannte es. Wo hatte er es bereits einmal gesehen? Es fiel ihm nicht ein, aber Henri wusste, darin lagen für den Gottesdienst die Sinnbilder der leinenen Tücher, in die Christus im Grab eingehüllt war.
    »Eine wahrlich schöne Arbeit! Woher kommt es?«
    Manuel sagte mit heiserer Stimme: »Aus Chiclana de la Frontera! Ich konnte es vor dem Zugriff der Mauren retten. Darin liegen neben dem quadratischen Leinen eng beschriebene Handschriften mit einem bedeutenden Inhalt. Aber davon müsst Ihr nichts wissen!«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Henri, unangenehm berührt von der wichtigtuerischen Art des Besuchers. »Ich wollte dich fragen, Ferrand, ob du im Besitz der Bücher bist, die ich zu studieren habe.«
    »Ja.«
    »Leihe sie mir bitte. Ich will darin die Lektionen nachlesen.«
    »Du kannst Aramäisch? Denn in dieser Sprache sind die Bücher geschrieben.«
    »Ich beherrsche es seit meiner Zeit als Knappe im Heiligen Land.«
    »Auch ich habe den letzten Kreuzzug mitgemacht, Henri. Aber die Sprache der Juden lernte ich nie.«
    »Vermutlich wolltest du es nicht. Aber mit diesen Kenntnissen ist es leichter, ihre Gedanken wirklich zu verstehen – und das willst du doch, nicht wahr?«
    Ferrand verfiel in ein kicherndes Lachen. »Auch Manuel spricht Aramäisch, nicht wahr, Manuel?«
    »Sehr wohl! Sonst könnten wir ja nicht…«
    »Schon gut, Manuel! Also, Henri, du willst die beiden Bücher? Nimm sie! Sie liegen dort. Vielleicht erzählst du mir an den langen Sommerabenden, die uns bevorstehen, was drinsteht! Dann spare ich mir eine umständliche Lektüre in einer schwer zu erlernenden Sprache.«
    Henris Blicke wanderten durch den Raum, in dem Ferrand wohnte. Für das Zimmer eines Scholaren war es üppig ausgestattet. Neben dem Lager standen wie üblich Tisch, Sessel und Waschgelegenheit. Aber überraschenderweise hingen an den Wänden Wirkteppiche mit Marienszenen, und in Regalen sah er kleine, kostbare Altaraufsätze, die liturgischen Altargeräte der Vasa Sacra. Sein Blick blieb an einem Vortragekreuz mit Edelsteinen hängen, und er erblickte ein Ciborium aus Gold, in dem Hostien aufbewahrt werden, es hatte einen silbernen Sechspassfuß, einen gedrungenen Turm und gravierte Schindeln aus Silber. Seltsam berührt von der Gegenwart dieser heiligen Dinge, dachte Henri, ob Ferrand hier seine eigenen persönlichen Messen abhielt? Und wäre das nicht frevlerisches Tun?
    Henri dankte für die Bücher und zog sich in seine Studierstube im Gasthof zurück. Aber eine innere Unruhe hielt ihn davon ab, sich in die Schriften zu versenken. Er spürte die intensive Nähe des Lebens draußen vor den Fenstern, die Süße der Düfte aus den Gärten Toledos.
    Und er ahnte das Näherkommen einer Gefahr.
    Und ganz plötzlich überfiel ihn die Erinnerung an eine Szene im Santiago-Palast von Aranjuez. Dort war es gewesen, als er das Korporalskästchen Manuels zum ersten Mal gesehen hatte! Konnte er sich täuschen? Der Großmeister hatte es in Händen gehalten wie einen geheimen Schatz! War es dasselbe? Und wenn ja, was bedeutete das?
    Henri fiel gleichzeitig Ferrand ein, der mit Manuel zusammensteckte. Was war Ferrand für ein Mensch? Er wollte das Judentum nicht wirklich verstehen lernen. Führte er nicht etwas ganz anderes im Schild? Aber was?
    Henri wünschte sehnsüchtig die Ankunft Joshua ben Shimons herbei. Wo blieb der Freund? Was hielt ihn auf? War etwas geschehen?
    Henri ließ die Bücher liegen und ging in die Stadt hinunter. In der Luft lag etwas Betörendes, Schwebendes. Die Menschen blickten ihn an, als seien sie auf der Suche nach etwas.
    Aber auch das bunte Treiben vermochte ihn nicht abzulenken, und er kehrte bald wieder in den Gasthof zurück, in dem es an diesem Abend ruhig war.
    Und er war froh, dass ihn am nächsten Morgen in aller Frühe die aufgehende Sonne weckte, die durch das durchbrochene Fenster seines Zimmers fiel und deren freundliche Strahlen über den roten Dächern Toledos und den goldenen

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