Die Verschwoerung von Toledo
überstreifen, um das Sabbatlicht in ihnen beiden anzuzünden. Und dann würde er sagen…
»Was ist, Joshua? Du bist so bleich! Oh Gott, was ist denn geschehen?«
Joshua kam zu sich, er verscheuchte die süßen Gedanken. »Wir werden Henri suchen. Vor Sonnenaufgang reitet Sean nach Cordoba und alarmiert Uthman, den treuen Freund. Keine Sorge, Azaria! Wir finden Henri unversehrt. Er weiß sich zu helfen, er ist ein erfahrener Kämpfer und Stratege.«
»Und wenn alles längst zu spät ist?«
»Wenn er in den Händen der Schergen ist? Ja dann… dann…«
»Dann fällt die Welt in Sterben…«
»Ja, das tut sie. Dann leuchtet uns kein Licht mehr…«
In der gleichen Nacht überschritt Ferrand de Tours, von Frankreich kommend, bei Port Bou die Grenze nach Iberien.
In seiner Begleitung befand sich der wildeste Haufen, den er auftreiben konnte. Söldner, Gesetzesbrecher, Mörder. Sogar ein verurteilter jüdischer Häretiker war darunter, der bei der Überführung in das Inquisitionsgefängnis von Nimes geflohen war. Ferrand war es gleich, wer in seiner Begleitung war und was sie getan hatten. Er hatte sie bezahlt und war nur von dem einen Gedanken beseelt, nach Toledo zu reiten, um Henri de Roslin, der sich inzwischen hoffentlich im Gewahrsam seiner Feinde befand, gegenüberzutreten.
Die Schar benutzte die flachen Uferstreifen des Meeres, um schneller voranzukommen. Sie wechselten die Pferde so oft sie konnten, und wenn sie sich mit den Besitzern nicht schnell genug über einen Preis einigen konnten, dann stahlen sie sie einfach. Auf diesem Weg hinterließen sie in ihrem Grimm auch drei tote Landleute, die es gewagt hatten, ihren spärlichen Besitz zu verteidigen. Aber was zählten in diesen Zeiten schon drei Bauern! Für Ferrand war es nur Geschmeiß.
Und durch welchen Ort sie auch immer kamen, sie sahen die Zeichen der Auflösung, der Not und der Seuche, die von Norden aus einsickerte. So fühlten sie sich nur als die Nachhut des Schreckens.
Als sie am nächsten Morgen südlich der Pyrenäen in einem kleinen Ort eine Synagoge sahen, vor der Pferde standen, hielten sie. Sie nahmen die Reittiere. Und als Männer hinzusprangen, erschlugen die Schergen Ferrands sie. Dann trieben sie Frauen und Kinder in die Synagoge hinein, zerschlugen drinnen den Altar, schlitzten die kostbaren Decken mit der Quadratschrift und die Gebetstücher vor dem Thora-Schrein auf, warfen die siebenarmigen Leuchter durch die zerspringenden bunten Fensterrosetten, rissen die geschmiedeten Eisenleuchter mit den weißen Kerzen von der Decke und legten Feuer. Sie verschlossen das Gotteshaus und hörten das Flehen der Mütter und die Todesschreie, aber darüber lachten sie nur.
Im wilden Galopp preschten sie davon. Zwanzig dunkle Existenzen in einer Zeit der Rechtlosigkeit. In einer Zeit, als der Groll Gottes noch größer zu sein schien als der Zorn der Menschen.
Wer wollte ihnen etwas anhaben!
Als sie am Abend nach Westen abbogen, um das flache Land der Mancha zu nutzen, gab Ferrand die Parole aus: »Wer als Erster die goldenen Türme von Toledo sieht, dem schenke ich eine jüdische Jungfrau!«
Und die Männer schrien durcheinander. Ihre Gier kannte keine Grenzen. Und sie fühlten nur eines – das kalte Gefühl ihrer eigenen, unverwüstlichen Grausamkeit.
ZWEITER TEIL
6
Ende August 1315, im jüdischen Monat Elul
Henri de Roslin wusste, was ihm bevorstand. Die Mienen seiner Ankläger waren eindeutig.
Er hatte keine Angst vor ihnen, er fühlte nur Traurigkeit darüber, dass er jetzt seine Freunde Joshua ben Shimon und den Knappen Sean of Ardchatten, seinen Lehrer Theophil von Speyer und die schöne Azaria nicht wieder sehen würde. Er dachte: Verzeiht mir, wenn ich euch Sorgen mache. Und er war wütend über sich selbst, weil er einen winzigen Moment lang unvorsichtig gewesen war. Die Königlichen hatten diesen Moment genutzt, als er schon glaubte, die Gefahr der Verfolgung sei vorüber. Sie hatten ihn in der Nacht an der Brücke nach Toledo überwältigt.
Henri wusste noch nicht, was sie ihm vorwarfen, aber er ahnte es. Es musste Ferrand de Tours dahinter stecken. Er hatte ihn noch nicht zu Gesicht bekommen. Aber auf dem Haftbefehl, den man ihm zeigte, stand auch Ferrands Name. Der Judenfeind musste nach seiner Flucht nach Frankreich die königlichen Behörden auf seine Spur gehetzt haben.
Henri de Roslin wusste nicht, an welchem Ort er sich selbst die letzte Zeit befunden hatte, man
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