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Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Keiner wusste etwas über Henri de Roslin. Und nur zwei junge Männer holten wortlos ihre Waffen und hielten sich bereit.
    Theophil hatte mehr Glück. Ein Schreiber des Kardinalspalastes, der in der jüdischen Übersetzerschule Hebräisch gelernt hatte, flüsterte ihm zu: »Vor vier Tagen verließ in aller Herrgottsfrühe ein verhängter Karren den Hof. Draußen warteten mehrere wilde Reiter. Das könnte der Transport mit eurem Mann gewesen sein, Jude!«
    »Welche Richtung nahmen sie?«
    Der Schreiber zuckte die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Ich schreibe Manuskripte ab und beobachte nicht die staubigen Verkehrswege.«
    Als Theophil schon gehen wollte, lief ihm ein Scholar hinterher. »Meister Theophil! Wartet einen Moment! Ich glaube, sie sind nach Norden, in Richtung auf Segovia, aus der Stadt geritten. Denn mein Bruder, der Ministrant in Santa Maria la Bianca ist, erzählte mir, ein mit der Decke der Inquisition verhängter Karren habe am Morgen des fraglichen Tages eine junge Katze überfahren. Ja, direkt vor dem Eingang! Und einer der rohen Männer habe sie mit einem Fußtritt ins Paradies befördert. Denkt Euch nur!«
    »Ein verhängter Karren und mehrere Bewaffnete als Begleitung?«
    »Darunter ein paar Rotbärtige, Normannen oder so, aus dem Norden. Es muss – wartet – vor vier Tagen gewesen sein, sie feierten die Messe zu Bartholomäus.«
    Theophil war sich sicher, dass das die richtige Spur war. Und er beeilte sich, seine Gefährten zu treffen, um ihnen das noch vor dem Abend zu sagen.
     
     
    Die Gassen Zaragozas waren von Lärm erfüllt. Scharen von Geißlern zogen dahin, die Männer mit entblößtem Oberkörper, langen Haaren und Bärten, die Frauen in zerfetzten Kleidern und mit bloßen Füßen. Immer wieder klatschten ihre Flügellos, die Lederriemen, auf ihre nackte Haut und ließen sie aufplatzen, Blut rann aus den Wunden. Aber im Gegensatz zu ihren gemarterten, ausgezehrten Körpern waren die Gesichter der Büßer stark und kräftig, wie erfüllt von einer geheimnisvollen Botschaft. Und in ihren Augen leuchtete die Gewissheit, zu den Auserwählten zu gehören. Ihr blutiges, schmerzerfülltes Tun schien es den Umstehenden zu beweisen, denn fügte sich Schmerzen freiwillig nicht nur jemand zu, der genau wusste, was er zu büßen hatte? Und sie büßten es für alle anderen.
    »Das Weltzeitalter geht zu Ende! Überall herrscht Hungersnot! Heraus auf die Straßen! Das Ende steht vor der Tür!«
    Henri de Roslin sah und hörte diese Vorgänge durch die Risse im Karren, in dem er noch immer kauerte. Der Karren rumpelte durch die Gassen, offenbar steuerte Ferrand ein bestimmtes Ziel an. Unter die klagenden Stimmen mischten sich andere, die in höchsten Tönen schrien und kreischten. Henri hörte auch den dumpfen Klang von Tambourinen und kleinen aragonesischen Trommeln. Monotone, immer wiederkehrende Beschwörungsformeln unsichtbar bleibender Menschen lagen in der Luft und flogen von Straßenseite zu Straßenseite, von Kirche zu Kirche wie der todesgesättigte, schwere und unergründliche Rhythmus eines Trauerchores. Sie haben Angst vor dem Jüngsten Gericht, dachte Henri. Und steht es nicht tatsächlich vor uns? Brechen nicht längst alle Dämme von Menschlichkeit und christlicher Moral?
    »Die irdischen Reiche sind Tand, denn alles auf der Welt ist vergänglich! Nur die göttliche Zeit zählt! Und ihre Herrschaft ist angebrochen! Bereitet euch vor auf die Abrechnung!«
    Henri verfluchte den Pferdekarren, in dem er hin und her geworfen wurde. Längst besaß er Hautabschürfungen an allen Gliedern. An seinen Knien und Ellenbogen hatten sich blutende Geschwüre gebildet. Und er verfluchte ausnahmslos alle jene Menschen in dieser Zeit, die nicht in der convivencia, der Toleranz unterschiedlicher Kulturen und Glaubensbekenntnisse, leben wollten. Denn dadurch wurde das Leben auf der Erdenscheibe zur Hölle für alle.
    Der Karren hielt. Als Henri hinausspähte, nahm er einen Hof wahr. Und er hörte die Stimme Ferrands. »Er ist ein Gefangener der französischen Krone und wird nach Avignon überführt. Hier ist das Beglaubigungsschreiben des Inquisitionsgerichtes in Toledo.«
    »Wir lange sollen wir ihn einsperren?«
    »Nur eine Nacht. Wir müssen Proviant und Wasser kaufen, und einige Dinge sind zu regeln. Morgen früh ziehen wir weiter!«
    Henri wurde herausgezerrt und in eine Zelle gebracht. Zum ersten Mal seit Tagen stand er wieder aufrecht auf festem Boden. Er begann, herumzugehen, und merkte

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