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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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den Treppenabsatz vor sich, durch dessen Fenster am anderen Ende helles Licht hereinfiel. Er erinnerte sich an die Rot- und Gelbtöne des Buntglases. »Falls der Butler um Hilfe geklingelt hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich dem, der daraufhin nach oben geeilt wäre, auf der Treppe begegnet, bevor ich das Haus verlassen konnte.«
    »Und was hätten Sie getan, um zu erreichen, dass man Sie
nicht sehen konnte?«, beendete Juster den Gedankengang. »Nehmen wir an, Sie hätten etwa eine Viertelstunde zuvor für alle sichtbar das Haus verlassen, wären durch den Nebeneingang zurückgekehrt, hätten sich die Treppe emporgeschlichen und es so eingerichtet, dass der Mord wie ein Unfall wirkte – wäre es da möglich – «
    Unruhe trat ein. Eine Frau schrie erstickt auf.
    Gleave sprang mit hochrotem Gesicht auf. »My Lord! Das ist unerhört. Ich – «
    »Sie wissen genau, Mr. Juster«, stimmte ihm der Richter ungehalten zu, »dass Ihr Vorgehen unzulässig ist! Wenn ich Ihnen solche Freiheiten einräume, muss ich das auch bei Mr. Gleave tun, und das dürfte Ihnen kaum recht sein.«
    Juster machte ein schuldbewusstes Gesicht, wirkte aber nicht sehr überzeugend. Pitt nahm an, dass er sich keine besonders große Mühe gegeben hatte.
    »Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen, während Sie sich gegenüber aufhielten?«, fragte Juster schlicht und sah erneut zu den Geschworenen hinüber. »Um was für einen Raum handelt es sich da überhaupt?« Er hob die schwarzen Brauen.
    »Um ein Billardzimmer«, gab Pitt zur Antwort. »Ich habe am Rand der Tür einen frischen Kratzer gesehen, der sich von der Klinke aus in einer gekrümmten Linie nach oben zog.«
    »Eine sonderbare Stelle für diese Art von Beschädigung«, merkte Juster an. »Vermutlich hätte sie bei geschlossener Tür nicht entstehen können?«
    »Nein, nur wenn sie offen stand«, stimmte ihm Pitt zu. »In dem Fall aber dürfte es sehr schwer gewesen sein, am Tisch Billard zu spielen.«
    Juster stemmte mit einer eckig wirkenden Bewegung die Hände in die Hüften.
    »Heißt das, dass sie jemand beim Betreten oder Verlassen des Raumes hervorgerufen haben könnte?«
    Wieder sprang Gleave mit gerötetem Gesicht auf. »Es wurde bereits gesagt, dass es nicht einfach war, bei offener Tür Billard zu spielen. Damit dürfte sich die Frage doch wohl von selbst beantworten, my Lord? Jemand ist, während er bei geöffneter
Tür Billard spielte, mit dem Queue an die Tür gestoßen und hat sie verkratzt – eben weil es schwierig war, wie Mr. Pitt so scharfsinnig und so gänzlich überflüssigerweise dargelegt hat!« Er lächelte breit und ließ dabei seine makellosen Zähne blitzen.
    Im Gerichtssaal herrschte atemlose Stille.
    Pitt sah zu Adinett hinüber, der vorgebeugt dasaß, ohne sich im Geringsten zu rühren.
    Juster blickte so unschuldig drein wie ein kleiner Junge, was allerdings nicht zu seinen Zügen passte. Er sah zu Pitt hin und fragte, als wäre ihm dieser Gedanke bisher noch nicht gekommen: »Haben Sie diese Möglichkeit erwogen, Oberinspektor?«
    Pitt erwiderte den Blick. »Durchaus. Das Mädchen, das in dem Zimmer sauber machte und Staub wischte, hat mir versichert, der Kratzer sei am Vormittag noch nicht da gewesen, und seither habe niemand das Zimmer benutzt.« Er zögerte. »Es befand sich weder Schmutz noch Wachs oder Möbelpolitur in diesem Kratzer. Er war so frisch, dass man das rohe Holz sehen konnte.«
    »Haben Sie ihr geglaubt?« Juster hob entschuldigend die Hand zu Gleave. »Verzeihung. Bitte beantworten Sie die Frage nicht, Mr. Pitt. Wir werden das Mädchen zu gegebener Zeit persönlich befragen, und die Geschworenen werden sich selbst ein Bild von ihrer Wahrheitsliebe machen können … und beurteilen, ob sie ihre Arbeit versteht. Vielleicht kann uns auch die arme Witwe Fetters sagen, ob sie ein gutes Hausmädchen ist oder nicht.«
    Im Saal hörte man Laute der Verlegenheit, Gereiztheit und unterdrücktes Gelächter. Die Spannung war gebrochen. Es wäre für Gleave Zeitverschwendung gewesen, jetzt das Wort zu ergreifen, und man sah seinem Gesicht mit den finster zusammengezogenen Brauen an, dass ihm das bewusst war.
    Der Richter holte tief Luft und stieß sie wortlos wieder aus.
    »Was haben Sie danach getan, Oberinspektor?«, fragte Juster in munterem Ton.
    »Ich habe mich erkundigt, ob Mr. Adinett einen Stock bei sich hatte«, sagte Pitt. Bevor Gleave Einwände erheben konnte, fügte er rasch hinzu. »Das war der Fall. Der Lakai hat das

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