Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
Wand mit zehn Türen. Hinter jedem Leiter eine
Tür.
„Also natürlich nur die, die ich auch genannt habe. Gut, gut! Geht am
besten direkt, nachdem ich euch aufgerufen habe, zur entsprechenden Tür, sonst könnten
vielleicht noch welche auf die Idee kommen sich irgendwo unterzumischen, wo sie
gar nicht hingehören. Aber auf so dumme Gedanken würde ja niemand kommen, oder?
Denn mit denen da hinten ist nicht zu spaßen“, wieder lachte er und deutete mit
dem Finger auf die Sicherheitsleute in den schwarzen Smokings.
Dann begann Sam die Namen zu verlesen. Leute standen auf, gingen zu den
Türen. Dann der nächste, und abermals ein anderer verließ den Raum. Alle spürten
die Ungewissheit bis in die Knochen, bis ins Mark und man sah es ihnen an. Jay las
aus ihrem Gesicht ab, wie unterschiedlich sich diese Unsicherheit zeigte.
Manche sahen ängstlich aus, andere versuchten sich Mut zuzusprechen oder einige
verschlüsselten ihre Gefühle, versteckten sie hinter einer Fassade der totalen
Abblockung. Ihre Gesichtsausdrücke waren neutral, leblos, als hätten sie schon
seit langem nicht mehr gelebt. Und zwar gelebt im Sinne von ‚in den Genuss des
Lebens gekommen‘. Natürlich lebten sie noch, sie waren ja keine Geister, an so
etwas glaubte Jay nicht. Neue Leiter stellten sich vor, mit ihren verschiedenen
Wappen. Einige fassten sich kürzer als Sam, manche erzählten ganze Romane,
bevor sie endlich die Liste verlasen. Doch sie alle waren anders, sie waren
anders als die aalglatten Smoking-Menschen, die die Ultimatie in all ihren
Facetten unterstützten. Sie zählten nicht zu denen, die es gut fanden, wie laut
dem Regierungssystem, laut der Ultimatie, die Menschen nur auf ihr Äußerstes
reduziert, ausgeschlachtet wurden, wenn sie nicht wie ein hochkarätiges Model
gekleidet waren. Verachtung galt jedem, der nicht so war wie sie oder zumindest
sich bemühte so zu tun, als wäre er so. Die Leiter waren anders, so viel
offener. Ihnen machte es nichts aus, mit Ropeys zu kommunizieren, sie
betrachteten sie nicht als Schmutz, Ungeziefer oder Abschaum und wenn doch,
dann konnten sie es wirklich gut verstecken!
Der nächste Leiter trat ein Stück vor und begann:
„Hey! Ich bin Jason Delsy. Und jap., ich bin auch ein Leiter. Und zwar
der des Venus-Reservates. Ich bin mal auf unsere Neuzugänge gespannt“, verkündete
er fröhlich und ausgelassen.
Seine Sprache war ungezwungen und sympathisch. Seine dunkle, gebräunte
Haut glänzte in dem künstlichen Licht und seine definierten Muskeln zeichneten
sich unter dem engen Shirt oder der Jacke, was auch immer es nun war, ab. Seine
Haare, Locken, waren länger gewachsen und ein wenig ungeordnet und verwuschelt.
Ein modischer Fauxpas dieser Zeit. Er kramte eine Liste aus einer der
unzähligen Taschen des Anzugs, oder der Jacke und Hose, oder der Hose und des
Shirts, Jay war sich immer noch nicht sicher, wie er diese Einheitskleidung
definieren sollte. Jedenfalls kramte er die Liste hervor und fuhr fort:
„ Allanis Opal, Clémens Botullé, Ceela Nish..“
Ihr Kopf drehte sich in die Richtung, aus der Jays Hand ihre festhielt
und sie hoffte, dass er da auch wirklich stand. Das tat er. Er blickte direkt
in ihre kristallklaren Augen und wusste, ab jetzt kann er ihr nicht mehr
beistehen. Er wollte etwas sagen, doch er fand nicht die richtigen Worte. Sie
wussten beide, dass sie nun Abschied nehmen würden, ihre Wege sich trennen
würden und jeder seinen Weg alleine weitergehen muss. Nach ein paar Wochen
wären sie nur noch gesichtslose Erinnerungen, die die Zeit langsam verblassen
ließ und wenn in fünf Jahren einer gefragt werden würde, ob er den jeweils
anderen kannte, wäre die einzige Antwort ein stummes Kopfschütteln. So war das
nun einmal. Wege trennten sich und wenn man einmal jemanden gefunden hatte, der
einen ein längeres Stück auf seinem Weg begleitete, dann war das schon sehr
viel wert. Doch Leute zu finden, zu denen man eine wirkliche enge Beziehung und
Freundschaft pflegt, mit denen man beschließt, den ganzen Weg gemeinsam zu
gehen, mit denen man sein Leben teilt, das war heutzutage selten, wirklich sehr
selten. Manche sagen, es gäbe Seelenverwandte, Leute, die das Schicksal
zueinander geführt habe und für die auch nur der gemeinsame Weg bestimmt sei,
für die das Schicksal der heutigen Zeit eine Ausnahme mache, und sie gemeinsam
gewähren ließe. Diese Hoffnung bezweifelte Jay schon lange, auch wenn er sich
immer wieder einredete, dass er Penelope noch nicht
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