Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
Diesen Monat sind es erstaunlich
viele, die resettled werden. Ich werde nun die Namen verlesen und die, deren
Namen verlesen wurden, kommen bitte selbst-ständig zu mir nach vorne. Wer sich
diesen Anweisungen widersetzt, wird gewaltsam zu mir gebracht. Also wollen wir
nun beginnen…“
Der Botschafter wollte zügig loslegen, doch ein Mann aus der Menge
erhob sich und schrie außer sich vor Wut:
„Warum? Warum werden unschuldige Menschen verbannt?“
Empört hob der Botschafter auf der Empore den Kopf. Eine Gruppe von
Sicherheits-männern des Personalservice trat mit schnellem gleichmäßigem
Schritt auf den Mann zu. Dieser schlug um sich und wehrte sich. Doch nicht
lange, da hatte der Personalservice ihn im eisernen Griff.
„Wartet, der Mann soll eine Antwort auf seine Frage bekommen. Danach
nennt ihm die Konsequenzen. Aber zuerst die Erklärung, Sir: Natürlich die
Menschen haben uns körperlich nichts getan, naja also gewalttätig, körperlich
ja schon, wenn ihr versteht was ich meine…“ der Botschafter lachte trocken. Zum
Entsetzen des Jungen lachten viele im Publikum mit, die Reichen, die Schönen,
die, die nichts zu befürchten hatten. Er räusperte sich.
„Also genug des Spaßes. Diese Menschen bekommen nur die Möglichkeit ein
neues Leben anzufangen, unter Leuten, die ihnen ähnlich sind. Sie sind nun mal
einfach nicht die Schön-sten, sie haben Makel und Makel sind in unserer
Gesellschaft nicht zu akzeptieren. Und so müssen sie sich nicht ständig fragen,
warum sie nicht aussehen wie diese bezaubernde Frau dort drüben oder dieser
Mann oder sie da hinten oder sie gleich hier vorne...“ Er deutete wild und
stolz in die Menge, mit einem charmanten Lächeln auf seinen wulstigen Lippen. Er
ist eine Schlange, eine widerliche verlogene Schlange! fluchte der Junge in
seinem Kopf. Jede Person, auf die der Botschafter gezeigt hatte, bekam gerötete
Wangen und lächelte verlegen, stolz ein Teil der perfekten Bevölkerung
zu sein, ein Teil der angesehenen Mittelschicht, der Citiza, oder sogar des
hochrangigen Adels.
„Ja genau, wir verbannen keine Leute! Wir schenken ihnen ein neues
Leben!“, beendete der alte Mann gekonnt und wortgewandt seine Ansprache.
Überzeugend, er klang so aufrichtig, die Menschen vertrauten ihm. Sie sind
so naiv , spottete die Stimme des Jungen in seinem Kopf.
Wütend schnaubte der gefangene Mann und spuckte den Personalservice an,
bevor sie ihn um die Ecke schleppten. Der Junge suchte seine kleine Schwester.
Er drückte sich zwischen Menschen hin und her. Er bemerkte die
unterschiedlichen Gesichter. Manche sahen belustigt aus, die Reichen, Hübschen,
denn für sie war das alles nicht im Geringsten gefährlich, es war vielmehr für
sie eine abwechslungsreiche, unterhaltende Show. Anderen war die Angst
anzusehen. Verständ-lich, denn ihre ganze Existenz hing nur von der Auswahl ab.
Durften sie bleiben oder mussten sie gehen? Die Ungewissheit war das Schlimmste
an der ganzen Sache, sie machte die Menschen wahnsinnig, machte sie krank.
Schweißperlen hingen auf ihrer Stirn, kleine Kinder weinten. Es war ein
schrecklicher Anblick, denn er wusste, dass auch kleine Kinder weggeschickt
wurden, alleine. Sie mussten nur mindestens sechs Jahre alt sein.
Er musste seine Schwester finden. Es war ihre erste Resetta, sie war
acht Jahre, doch auf den Papieren erst sechs Jahre. So musste sie erst später
zu Resettas antreten. Er war ein guter Fälscher, ein geschickter Lügner, er
konnte sich durchboxen, konnte seine Schwester und sich selbst gerade so über
die Runden bringen. Doch es war okay so, ja, das war es. Erleichtert atmete er
auf, als er blonde Locken sah. Er tippte dem Kind in dem weißen Kleid auf den
Rücken. Sie drehte sich um und sprang ihrem älteren Bruder in die Arme.
„Jay, du bist endlich da“, flüsterte sie. Ihre klarblauen Augen
funkelten vor Freude.
„Ich bin doch immer für dich da, Penelope“, sagte er und lächelte sie
an.
„Ich will nicht hier weg! Und ich will auch nicht, dass du gehst!“ Eine
Träne kullerte über die blasse Haut des Mädchens, ihre kindliche Angst war so
emotional, so ehrlich.
„Das wird nicht passieren, Schatz. Du bist viel zu hübsch.“ Er küsste
sanft ihre Wange.
Traurig guckten ihre großen Augen in sein Gesicht.
„Was bedrück dich, Kleines?“, fragte er liebevoll.
Schüchtern sagte sie: „Guck dich mal um. Alle haben einen Dad, wo ist
meiner? Oder habe ich keinen Dad? Und wo ist Mummy? Ihre Geschäftsreise hat
noch
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