Die Verstummten: Thriller (German Edition)
und nebenbei zu Geld zu kommen? Jetzt würde sie jedes Mal, wenn sie ein Asserviertütchen verwendete, an Anja Loos’ Zwangsehe denken.
Matte goss sich Tee ein, schrammte mit dem Löffel beim Umrühren über den Tassenrand, hob die Tasse an und nippte daran. »Mmm. Wirklich gut. Haben Sie noch etwas Akazienhonig oder nein, besser Lindenblüte? Und etwas Sahne, Ihr Kollege sagte, Sie schwören darauf.«
Richard riss die Augen auf. »Dr. Höllrigl? Was weiß der denn über mich?«
»Sie hatten immerhin drei Jahre eine Praxisgemeinschaft in Pasing, und wehe, es war kein Schlagrahm im Kühlschrank, sagte er.«
Richard lachte und klopfte auf die Sofakante.
Flora schreckte auf und starrte ihren Onkel an. »Das stimmt, Mama kauft extra immer nur für dich Sahne, wenn du in der Früh zum Kaffeetrinken kommst.« Sie redete! Als sie Carinas Blick bemerkte, vergrub sie sich wieder in der Decke.
»Das ist schließlich nicht zu viel verlangt. Der eine mag dies, der andere das. Du magst auch nicht alles, oder?« Er wollte sie wieder streicheln. Flora schlug seine Hand weg und wickelte sich die Decke bis über die Nasenspitze, als müsste sie ihren Mund verbergen.
»Haben Sie am Freitag auch gemeinsam Kaffee getrunken?« Matte zupfte ein Katzenhaar von seiner Hose. »Wir wissen, dass Sie nicht in der Schwimmhalle waren.«
Ausreden, Lügen, wie würde Richard reagieren? Carina war mit jeder Faser ihres Körpers gespannt.
»Nach einer schlaflosen Nacht wollte ich mit ihnen wie immer morgens meine neuen Kabarettideen durchgehen. Ich hab meine Frau und Fabian zum Babyschwimmen gefahren und bin dann rübergegangen.«
»Und was haben Ihre Schwägerin und Ihr Bruder zu Ihrem Text gesagt?«
»Den brauchte ich gar nicht vorlesen, den spielten mir die beiden gleich selber vor, mit perfektem Bühnenbild.« Richard breitete die Arme aus und ließ endlich von Flora ab. Carina rutschte dem Mädchen noch ein bisschen näher.
» Sie putzte den Kühlschrank und heulte dabei, und mein Bruder wollte sie davon abbringen. Ich habe mich stillschweigend amüsiert, setzte mich an den gedeckten Frühstückstisch auf die Terrasse, bediente mich selbst und hörte zu, wie sie Jakob gegen mich aufwiegeln wollte. Ich sollte gehen, weil sie Besuch erwarteten, irgendeine Informantin. Als ob die in den Kühlschrank schauen würde.« Er lachte auf. »Außerdem ging es um Enrico, der seit Tagen nicht mehr nach Hause kam, kein Wunder bei der Mutter. Unzählige Male habe ich ihr erklärt, dass sie dem Jungen seine Freiheit lassen, ihn nicht so einengen soll. Sie hörte mir gar nicht zu, verdrehte die Augen und sah immer nur Jakob an, als sollte der was gegen mich sagen. Aber mein kleiner Bruder würde nie die Stimme gegen mich erheben. Der weiß, wo sein Platz ist! Mein Vater war zu schwach, um eine Autorität für uns zu sein, also habe ich das schon als Jugendlicher für meinen Bruder übernommen.« Mit großer Geste schenkte er Matte Tee nach. Carina ignorierte er.
»An dem Tag flippte sie aus, weil ich schon zu essen angefangen hatte und ein paar Krümel auf die Tischdecke fielen.« Nun kicherte er sogar. »Ich habe extra noch etwas Kaffee verschüttet, als ich mir eingoss. Da ist sie komplett ausgerastet und hat mich beschimpft. Es war genauso, wie ich es schreiben wollte, zum Nachsprechen. Ich verlangte Sahne, Milch schmeckt mir nicht, das wusste sie doch. Anscheinend dachte sie, wenn ich meinen Kaffee getrunken habe, verschwinde ich, also stampfte sie wieder in die Küche. Ich legte inzwischen meine Lieblings- CD ein. Sie schaltete sie ab, als sie mir einen Becher Sahne brachte.«
Bob Marley, fast hätte Carina es laut gesagt.
»Ich machte den Deckel von der Sahne besonders langsam auf und roch daran. Die Sahne war frisch, nur nicht mehr kühl, da sie schon eine Weile draußen gestanden hatte. Also hab ich behauptet, sie wäre sauer. Die willst du doch deinem Gast nachher nicht vorsetzen, sagte ich. Ihr fetter Hängebusen bebte, und sie ballte sogar die Fäuste gegen mich. Am liebsten hätte sie mir die Sahne ins Gesicht geschüttet. Dann fauchte sie, ich sollte doch meinen Kaffee drüben trinken, am besten immer und jeden Tag. Ich hätte eine eigene Familie, um die ich mich kümmern könnte, und bräuchte nicht immer bei ihnen herumzuhängen. Und mein ganzes Geschreibsel sei einfach nur herausgekotzt, Ideen allein machten noch keinen guten Text. Sie, die Frau Oberjournalistin, urteilte über meine Werke. Eine, die es nur in irgendwelche
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