Die Versuchung
flüchtete aus dem Zimmer. Er glaubte, hinter sich ein unterdrücktes Lachen zu hören, doch das war ihm egal – mochte sie lachen, wenn ihr danach war. Ihm war überhaupt nicht nach Lachen zumute; in seinem Zimmer angekommen, ließ er sich schwer atmend auf einen Stuhl fallen, nur um wenig später unruhig auf und ab zu gehen.
„Was für eine Blamage! Wie stehe ich denn jetzt da? Was sollte ich denn anderes tun, als meine Visitenkarte abzugeben? Mein Name steht dort schwarz auf weiß. Aber die hat natürlich nur der Baron gesehen … Die Baronin hat mir wirklich gefallen in ihrer Art, fast habe ich mir schon eingebildet, sie als Kind gesehen zu haben. Sie hat mir die Bekanntschaft doch förmlich eingeredet. Wahrscheinlich wusste sie sofort, als sie mich gesehen hat, dass ich ein völlig Fremder bin, und sie hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich zum Narren zu halten. Natürlich wird sie die Geschichte in ihrem Bekanntenkreis erzählen und mich zum Gespött der Leute machen. Ich werde Seeon sofort verlassen … Aber vermutlich tue ich ihr Unrecht, sie hielt mich wirklich für John, den Sohn ihres Bekannten. Dieses ganze Missverständnis ist meine Schuld. Wieso habe ich geglaubt, der Brief könnte für mich bestimmt sein?“
Wütend zerriss er den ominösen Brief in kleine Fetzen.
Um zwölf Uhr läutete die große Glocke, und Hamilton wusste, dass es Zeit war, zum Essen hinunter zu gehen. Er war gerade dabei, einen Brief zu schreiben, als es an der Tür klopfte. „Herein!“ rief er und zuckte zusammen, als Baron Zander eintrat. Er lachte laut, als er Hamiltons erschrockenes Gesicht sah und versicherte ihm, dass er ihn für einen famosen Kerl halte und überhaupt keine Zweifel habe, dass aus ihm einmal ein ausgezeichneter Diplomat werde.
„Wirklich, Herr Baron, ich hatte nie die Absicht … Sie dürfen wirklich nicht glauben, dass ich vorsätzlich ...“
„Erklären Sie nichts, bitte erklären Sie nichts!“, rief er. „Ich bin Ihnen wirklich außerordentlich dankbar! Meine Frau hält sich für ungemein gescheit, sie hält mir immer Vorträge, weil ich mich angeblich nicht verständlich ausdrücke – aber den Brief, den sie geschrieben hat, wer hätte den wirklich verstehen sollen? Er hätte für diesen Mister Hamilton bestimmt sein können oder für jenen – aber sie hält sich ja immer für so gescheit.“
„Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe. Natürlich hätte ich Sie gerne begleitet, unter anderen Umständen … Ich bitte Sie, mich zu entschuldigen – ich verlasse Seeon heute noch, sobald es geht.“
„Ja, wir verlassen Seeon so schnell wie möglich. Ich schicke gleich meinen Diener Joseph, damit er Ihre Sachen einpackt, während wir zu Mittag essen.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Ihre Einladung trotz allem immer noch gilt – obwohl Sie mich gar nicht kennen?“, fragte Hamilton ungläubig.
„Warum nicht? Sie sind ja kein schlechter Mensch, soviel weiß ich schon. Meine Frau hat einen Mister Hamilton eingeladen und Sie sind ein Mister Hamilton – also sind Sie uns willkommen. Und nun wollen wir zu Tisch gehen.“
„Aber ich möchte Ihnen wirklich erklären ...“
„Oh, aber bitte nicht mir, sondern meiner Frau!“
„Hier“, rief der Baron, als er die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, „hier komme ich, um meinen neuen Freund Mr. A. Hamilton vorzustellen. Er möchte dir für deinen freundlichen Brief danken, der an alle A. Hamiltons dieser Welt gerichtet war, und dir die Hand küssen.“
„Das hast du dir jetzt ausgedacht, Bernhard!“, antwortete sie lachend. „Mr. Hamilton weiß sicher noch nicht genug über die häuslichen Sitten der Deutschen, um zu wissen, dass ein Handkuss hier etwas sehr Alltägliches ist – aber Sie brauchen deshalb wirklich nicht rot zu werden.“
An Stelle von Hamilton ergriff der Baron beide Hände seiner Gattin und versicherte, dass er sich glücklich schätze, eine so wunderbare und vor allem so gescheite Frau zu haben.
4
„Rauchen Sie, Mr. Hamilton?“, fragte der Baron, als er seiner Frau in die Kutsche half.
„Ab und zu rauche ich ganz gerne eine Zigarre.“
„Ich frage Sie, denn wenn Sie jetzt zu rauchen wünschen, dann sollten Sie sich zu mir setzen“, sagte er, indem er den Vordersitz des Wagens erklomm. „Meine Frau ist zwar sonst in jeder Beziehung eine vollkommene Deutsche, aber den Tabakrauch hat sie noch nicht lieben gelernt.“
„Daran werde ich mich auch nicht mehr gewöhnen. Genau
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