Die vierte Hand
nicht, aber er krabbelte wahrscheinlich schon. Zum Vorlesen würde ohnehin nicht viel Zeit sein. Warum Klein Stuart anstelle von Wilbur und Charlotte, könnte man fragen. Nur weil Wallingford fand, das Ende stehe mehr in Einklang mit seinem Neuaufbruch. Und vielleicht würde die Melancholie dieses Schlusses Mrs. Clausen überzeugen - er war jedenfalls romantischer als die Geburt von lauter kleinen Spinnen.
Im Wartebereich sahen die anderen Fluggäste zu, wie Wallingford seine Reisetasche aus- und neu packte. Er hatte am Morgen Jeans, Laufschuhe und ein Hawaiihemd angezogen, und er hatte eine leichte Jacke, eine Art Windjacke, bei sich, die er über seinen linken Unterarm drapieren konnte, um das Fehlen der Hand zu kaschieren. Aber ein Einhändiger, der eine Reisetasche aus- und neu packt, würde jedermanns Aufmerksamkeit erregen. Bis er mit seinem Getue um sein Gepäck für Wisconsin fertig war, wußte jeder im Wartebereich, um wen es sich handelte. Alle sahen zu, wie der Löwenmann sein Handy auf dem Schoß festhielt, indem er es sich mit dem linken Unterarmstumpf gegen den Oberschenkel drückte, während er mit seiner einzigen Hand die Nummer wählte; dann nahm er es in die Hand und hielt es sich an Ohr und Mund. Als seine Windjacke von dem leeren Sitz neben ihm rutschte, griff sein linker Unterarm danach, um sie aufzuheben, doch Wallingford besann sich und legte den nutzlosen Stumpf wieder auf den Schoß. Bestimmt waren die anderen Passagiere überrascht. Nun hat er schon so viele Jahre keine Hand mehr, und sein linker Arm denkt immer noch, er hätte eine! Aber niemand wagte es, die heruntergefallene Windjacke aufzuheben, bis ein mitfühlendes Paar, das mit einem kleinen Jungen reiste, diesem etwas zuflüsterte. Der Junge, der vielleicht sieben oder acht Jahre alt war, näherte sich vorsichtig Patricks Jacke; er hob sie auf und legte sie sorgfältig auf den leeren Sitz neben Wallingfords Tasche. Patrick lächelte und nickte dem Jungen zu, der verlegen zu seinen Eltern zurückeilte.
Das Handy klingelte unentwegt in Wallingfords Ohr. Er hatte vorgehabt, in seiner Wohnung anzurufen und entweder mit Angie zu sprechen oder auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht zu hinterlassen, die sie hoffentlich mitbekommen würde. Er wollte ihr sagen, wie wunderbar und natürlich sie sei; er hatte daran gedacht, etwas zu sagen, was mit den Worten »In einem anderen Leben...« begann. So was in der Art. Aber er hatte nicht dort angerufen; irgend etwas an Angies schierer Güte ließ ihn vor dem Risiko zurückschrecken, ihre Stimme zu hören. (Außerdem war es Quatsch, jemanden, mit dem man nur eine Nacht verbracht hatte, als »natürlich« zu bezeichnen.)
Er rief statt dessen Mary Shanahan an. Ihr Telefon klingelte so oft, daß er schon dabei war, sich eine Nachricht für ihren Anrufbeantworter zurechtzulegen, als sie abnahm. »Das kannst nur du sein, du Arsch«, sagte sie.
»Mary, wir sind nicht miteinander verheiratet - wir gehen nicht mal fest miteinander. Und ich tausche nicht meine Wohnung mit dir.« »Hat es dir mit mir nicht gefallen, Pat?«
»Es gibt da einiges, was du mir nicht gesagt hast«, meinte Wallingford. »So läuft das nun mal in dem Geschäft.«
»Verstehe«, sagte er. Man hörte ein fernes, hohles Geräusch - die Art von hallender Stille, die Wallingford mit Anrufen nach Übersee assoziierte. »Das ist wohl kein so guter Zeitpunkt, um dich wegen eines neuen Vertrags zu tragen«, fügte er hinzu. »Du hast gesagt, ich soll fünf Jahre verlangen -«
»Darüber sollten wir nach deinem Wochenende in Wisconsin reden«, erwiderte Mary. »Drei Jahre wären realistischer als fünf, denke ich.« »Und soll ich... wie hast du's doch gleich formuliert? Soll ich den Moderatorenstuhl peu a peu räumen - ist das immer noch dein Vorschlag?« »Wenn du einen neuen, verlängerten Vertrag willst - ja, dann wäre das eine Möglichkeit«, sagte Mary.
»Ich weiß nicht, wie es mit schwangeren Moderatorinnen aussieht«, gab Wallingford zu. »Hat es überhaupt schon mal eine schwangere Moderatorin gegeben? Ich denke, es könnte funktionieren. Geht es darum? Wir würden dabei zusehen, wie du immer dicker wirst. Natürlich gäbe es irgendeinen schnuckeligen Kommentar und ein, zwei Einstellungen von dir im Profil. Es wäre am besten, einen kurzen Mutterschaftsurlaub zu nehmen, um anzudeuten, daß es in der heutigen familienfreundlichen Arbeitsweit keine große Affäre ist, ein Kind zu bekommen. Und dann, nach einem Urlaub von nicht
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