Die vierte Hand
ich muß vielleicht pinkeln!« sagte sie. »Da war noch ein Anruf - nicht von deiner Mutter. Irgendein Kerl hat gesagt, er würde meinen Penis in einem Mixer zerkleinern.« »Das war bestimmt mein Bruder Vittorio - abgekürzt Vito«, sagte Angie. Sie ließ die Badezimmertür offen, während sie pinkelte. »Hat er wirklich ›Penis‹ gesagt?« rief sie von der Toilette aus. »Nein, eigentlich hat er ›Schwanz‹ gesagt«, erwiderte Patrick. »Eindeutig Vito«, sagte die Maskenbildnerin. »Er ist harmlos. Vito hat nicht mal einen Job.« Wieso machte seine Arbeitslosigkeit ihn harmlos? »Was ist denn eigentlich in Minnesota?« fragte Angie. »Wisconsin«, verbesserte er sie. »Und wer ist da?«
»Eine Frau, die ich bitten werde, mich zu heiraten«, antwortete Patrick. »Wahrscheinlich wird sie nein sagen.«
»He, da hast du aber ein echtes Problem, weißt du das?« meinte Angie. Sie zog ihn aufs Bett zurück. »Ein bißchen zuversichtlicher mußt du schon rangehen. Du mußt dran glauben, daß sie ja sagt. Wozu sonst der Aufwand?«
»Ich glaube nicht, daß sie mich liebt.«
»Klar liebt sie dich! Du mußt bloß üben«, sagte die Maskenbildnerin. »Na los - du kannst bei mir üben. Los - frag mich!«
Er versuchte es; schließlich hatte er ja auch geübt. Er sagte ihr, was er zu Mrs. Clausen sagen wollte.
»Ach du Schande... das ist ja grauenhaft!« sagte Angie. »Also, erstens einmal kannst du nicht damit anfangen, daß du dich wie verrückt entschuldigst - du mußt gleich damit rausrücken und sagen: ›Ich kann nicht ohne dich leben!‹ So was in der Art. Na los - sag's!« »Ich kann nicht ohne dich leben«, verkündete Wallingford wenig überzeugend.
»Ach du Schande...«
»Was war denn nun schon wieder?« fragte Patrick. »Ein bißchen besser muß das schon kommen!«
Das Telefon klingelte - der fünfte Anruf. Es war erneut Mary Shanahan, die vermutlich aus der Einsamkeit ihrer Wohnung in der East Fifty-irgendwas anrief - Wallingford meinte das Rauschen des Verkehrs auf dem fdr Drive zu hören. »Ich dachte, wir wären Freunde«, begann Mary. »Behandelst du so eine Freundin? Eine, die ein Kind von dir bekommt...«
Entweder brach ihr die Stimme, oder der Gedanke verlor sich. »Da hat sie nicht ganz unrecht«, sagte Angie zu Patrick. »Sag mal lieber was zu ihr.« Wallingford dachte daran, den Kopf zu schütteln, aber er lag gerade mit dem Gesicht auf Angies Brüsten; es erschien ihm unhöflich, an dieser Stelle den Kopf zu schütteln.
»Du kannst doch unmöglich noch immer dieses Weibsbild vögeln!« schrie Mary.
»Wenn du nicht mit ihr redest, rede ich mit ihr. Irgendwer muß es jedenfalls«, sagte die mitfühlende Maskenbildnerin.
»Dann rede du mit ihr«, erwiderte Wallingford. Er vergrub das Gesicht weiter unten, in Angies Bauch, um möglichst wenig zu hören, während sie den Hörer abnahm.
»Hier ist Angie, Ms. Shanahan«, begann die gutherzige junge Frau. »Sie brauchen sich nicht aufzuregen. So toll war das hier nämlich gar nicht. Vorhin wär ich beinah erstickt. Ich wär fast gestorben - ohne Witz.« Mary legte auf. »War das blöd?« fragte Angie.
»Nein, das war gut. Das war genau richtig. Ich finde dich prima«, sagte er wahrheitsgemäß.
»Das sagst du nur so«, meinte Angie. »Hast du noch mal Lust, oder was?«
Also schliefen sie miteinander. Was sollten sie sonst tun? Als Angie diesmal ohnmächtig wurde, entfernte Wallingford aufmerksamerweise ihren alten Kaugummi von der Anzeige seiner Uhr, ehe er den Wecker stellte.
Angies Mutter rief noch einmal an - jedenfalls hielt Patrick sie für die Anruferin. Ohne ein Wort zu sagen, weinte die Frau in einem fort, beinahe melodiös, während Wallingford zwischen Schlafen und Dösen hin und her driftete.
Er wachte auf, ehe der Wecker klingelte. Während er dalag, betrachtete er die schlafende junge Frau - ihr grenzenloses Wohlwollen war wirklich etwas Schönes. Er stellte den Wecker ab, ehe er klingelte; er wollte Angie schlafen lassen. Nachdem er geduscht und sich rasiert hatte, machte er eine Bestandsaufnahme seines mitgenommenen Körpers: der blaue Fleck an seinem Schienbein von der Glasplatte des Couchtisches in Marys Wohnung, die Verbrennung vom Heißwasserhahn in Marys Dusche. Sein Rücken war von Angies Nägeln zerkratzt; seine Schulter zierten eine ziemlich große Blutblase, ein violett verfärbtes Hämatom und einige Hautverletzungen von Angies spontaner Beißerei. Patrick Wallingford war ganz offensichtlich nicht in der rechten
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